DER  STARKE TOBAK  DES  MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann


ÜBERSETZUNGSMUSTER FÜR DIE WIEDERGABE VON
PHRASEOLOGISMEN UND IDIOMATISCHEN WENDUNGEN
IN KONTEXTUELLER EINBETTUNG BEI GEORGES BRASSENS

Am Beispiel des Chansons COMME UNE SŒUR:




INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 ÜBERSETZUNGSMUSTER

2.1 Entidiomatisierung/Entmetaphorisierung
2.2 Analoge Neuidiomatisierung ohne Querbezug
2.3 Entidiomatisierung/Metaphorisierung
        BRASSENSSCHE VERFAHRENSWEISEN
2.4 Analoge Neuidiomatisierung
2.5 Neuidiomatisierung mit Substitution
2.6 Neuidiomatisierung und Aktualisation mit Zusatz
2.7 Neuidiomatisierung mit Mehrfachvariation
2.8 Direkt-inhaltliche Neuidiomatisierung
2.9 Aktualisierung des Kontextes
2.10 Stilistische Disloziierung
3 ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
3.1 Zwischensprachliche Assoziationsfelder
3.2 Formal-stilistische Entscheidungsfindung
3.3 Formal-poetische Aspekte



1  EINLEITUNG
 

Et depuis leurs noces j'attends,
Le cœur sur des charbons ardents,
Que la faucheuse vienne cou-
per l'herbe aux pieds de ce grigou

(© 1958 Éditions Musicales 57)


Erst einmal ungeachtet des Reim-Enjambements durch das Wort
cou//per, sollen die Möglichkeiten untersucht werden, die zur Übersetzung der Wendung couper l'herbe aux pieds de qqn (bzw. normiert couper l'herbe sous les pieds de qqn) hier an dieser Stelle existieren. Diese idiomatische Wendung findet sich im PETIT ROBERT wie folgt beschrieben: frustrer qqn d'un avantage en le devançant, en le supplantant; sie bedeutet übertragen also so viel wie: jmdm zuvorkommen, jmdn übertreffen, im zu Grunde liegenden Bild: jmdm das Gras zu Füßen schneiden, bzw., um ein deutsches Bild zu gebrauchen: jmdm den Teppich unter den Füßen wegziehen (wobei die deutsche Wendung hier mehr bedeutet, an jmds Existenz zu rütteln). Im Original wird die Wendung zweiwertig gebraucht, zum einen in der übertragenen Bedeutung kontextlich eingeordnet (dass der Tod diesem Knausrer zuvorkomme), zum anderen stellt sich zwischen dem Substantiv faucheuse (Tod, Schnitter, Sensenmann) und dem (nicht wörtlich verstandenen) Bestandteil l'herbe ein zusätzlicher Querbezug her, durch welchen die idiomatische Wendung entidiomatisiert und die zu Grunde liegende Metapher aktualisiert wird. Diesen Querbezug will ich versuchsweise formal-inhaltlich nennen, denn das formal begründete Spiel knüpft eine Art geheimes inhaltlich-bedeutungsmäßiges Band: ...dass der Sensenmann diesem Knausrer das Gras zu Füßen mähe.
 
Da es im Deutschen keine idiomatische Wendung mit analoger Metapher gibt, wäre zu untersuchen, welche Möglichkeiten sich dem Übersetzer zur Übertragung darbieten und inwiefern diese Möglichkeiten mit der originalen Art und Weise der Verwendung sprachlicher und stilistischer Formen vereinbar sind. (Bei allen im nachfolgenden aufgeführten deutschen Beispielen ist nur der Vollständigkeit halber der Reim realisiert worden, es geht uns hier nicht um deren Qualität noch um die Kompatibilität der für den Reim eingefügten deutschen Wörter.) Nun zu den verschiedenen Möglichkeiten, die sich dem Übersetzer im vorliegenden Fall anbieten:
Seit ihrer Hochzeit schwelt verstohl'n
Mein Herz wie auf glühenden Kohl'n...

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2  ÜBERSETZUNGSMUSTER

2.1 Entidiomatisierung/Entmetaphorisierung:

Die originale Wendung wird ohne Bild unter Wahl einer nichtidiomatischen, wenn auch phraseologisch festgefügten Wendung (auf abstrakt interpretatorischer Ebene) wiedergegeben:

Dass doch der Sensenmann auf Erd'
Dem Geizhals zuvorkommen werd'
Metrisch besser:
Dass doch der Sensenmann auf Erd'
Dem Geizhals schnell z'vorkommen werd'


2.2 Analoge Neuidiomatisierung ohne formal-inhaltlichen Querbezug

Es könnte eine idiomatische Wendung gewählt werden, die eine analoge übertragene Bedeutung besitzt, aber keinen Querbezug zum aktuellen Kontext eingeht, z.B: jmdm den Wind aus den Segeln (die Wurst von der Stulle) nehmen, jmdm den Teppich untern Füßen wegziehen...
Es zieh' der Sensenmann ihm keck
Den Teppich untern Füßen weg.
oder:
Dass doch der Sensenmann schnell dem
Kerl den Wind aus den Segeln nehm'
oder:
Dass doch der Sensenmann schnell dem
Kerl die Wurst von der Stulle nehm'


2.3 Entidiomatisierung/Metaphorisierung

Das original durch den Querbezug faucheuse-herbe zusätzlich zur übertragenen Wendung in den aktuellen Kontext vorgeschobene Bild wird "wörtlich" übersetzt, d.h. das ursprünglich normierte, in der idiomatischen Wendung erstarrte Bild erscheint im Deutschen als zufällige, nicht normierte Metapher:

Dass ihn der Sensenmann erspäh'
Und ihm das Gras zu Füßen mäh'
Dieses für den deutschen Hörer nicht festgefügte Bild wird sehr ähnlich der originalen idiomatischen Wendung verstanden. Das Verständnis der Metapher ist aber in der interpretatorischen Ebene versunken, während es sich im Französischen an der sprachlichen Oberfläche befindet.

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BRASSENSSCHE VERFAHRENSWEISEN

In allen drei vorgenannten Fällen leidet die stilistisch-formale Komponente des Originals. Denn Georges Brassens verwendet hier eine gleichzeitig wörtlich und übertragen zu verstehende Wendung, was für seine Lyrik eine typische Vorgehensweise darstellt. In beiden Fällen oben ist der aktuelle Kontext gewahrt, aber die Sichtweise des Autors (wie sie in der Sprachbehandlung zum Ausdruck kommt), der Gestus, ist auf der Strecke geblieben. Wir haben das Chanson Comme une sœur übersetzt, aber nicht Georges Brassens. Georges Brassens spielt mit Vorliebe mit festgefügten, im täglichen Gebrauch mehr oder weniger erstarrten, meist anschaulich-bildlichen Wendungen (oder Zitaten). Dabei sind vier wesentliche Verfahrensweisen erkennbar:

(a) Aufgreifen von idiomatischen Wendungen, deren originales Bild inhaltliche Querbezüge zum aktuellen Kontext aufweisen (wie oben gesehen):

Bsp: ma vieille branche, sacré nom d'un' pipe                         (Auprès de mon arbre)
en me tenant le bec dans l'eau, couper l'herbe aux pieds...      (Comme une sœur)
donner (aux coûturiers) bien du fil à retordre                            (Vénus Callipyge)
Vénus se fait vieille, elle perd son latin                                   (Non-demande en mariage)
se garder une poire pour la soif                                              (Le vin)
c'est pas de ma juridiction                                                     (Grand-père)
tonnerre de Brest, coup de foudre                                          (L'orage)
être dans les vignes du Seigneur                                           (Le vieux Léon)
ça va de soi, cela ne me regardepas                                     (La mauvaise réputation)
faire son deuil, mort de mon âme!                                          (Le testament)
à tombeau (grand) ouvert                                                       (Funérailles d'antan)
penchant prononcé pour les ich-liebe-dich                              (La tondue)

(b) Aktualisierung von idiomatischen Wendungen durch Austausch einer Komponente des originalen Bildes (Substitution), wobei die ausgetauschte Komponente zur neuen Komponente in einem bestimmten inhaltlichen Zusammenhang [metaphorischer, hyperonymischer, phonetischer o.a. Art] steht: 

(i) inhaltlicher Bezug:
Bsp: mener qqn par le bout du cœur (statt: bout du nez)           (Une jolie fleur)
ne pas savoir où donner de la bouche (statt: de la tête)             (Une jolie fleur)
ne pas savoir où donner de la corne                                         (Le cocu)
couvrir qqn de safran (statt: de fleurs)                                      (Le cocu)
il n'y a pas de quoi fouetter un cœur (statt: un chat)                   (Pénélope)
une fess' qui dit merde à l'autre (statt: un œil qui...)                   (Grand-père)
empêcheur d'enterrer en rond (statt: tourner en rond)                  (Grand-père)
faire la tombe buissonnière (statt: l'école buissonnière)              (Le testament)
le savoir-boire (statt: le savoir-faire bzw. savoir-vivre)                  (Le vin)
l'amour qui mène à Rome (statt: les chemins qui...)                    (Le pornographe)
jeter les morceaux de nos cœurs aux pourceau (statt: perles)      (La femme d'Hector)
faire des châteaux à Cythère (statt: ... en Espagne)                    (Quatre-vingt-quinze pour cent)
le complexe d'Icare (statt: le complexe d'Œdipe)                         (22 septembre)
mourir plus haut que son cul (statt: péter plus haut...)                 (Funérailles d'antan)
à travers ciel (statt: à travers champs)                                       (Chanson pour l'auvergnat)
va-t'en voir là-haut si j'y suis (statt: ailleurs)                                (Le testament) 

(ii) formaler Bezug (Gleichklang):
Bsp: les voir venir avec leurs gros drapeaux (satt: sabots)           (Mourir pour des idées)
tourner autour du tombeau (statt: autour du pot)                         (Mourir pour des idées)
la mort la mort toujours recommencée (statt: la mer)                  (Mourir pour des idées)
tombeaux en Espagne (statt: châteaux en Espagne)                   (Ballade des cimetières)
c'est pas de ma bénédiction (statt: juridiction)                            (Grand-père)
pas d'argent pas d'épices/pas de cuisses (statt: Suisses)           (Grand-père)
jusqu'à ce qu'amour s'en suive (statt: la mort s'en suive)             (Embrasse-les tous)
faire ses quatre voluptés (statt: faire ses quatre volontés)           (Trompettes de la Renommée)

(c) Aktualisierung von idiomatischen Wendungen durch Zusätze zum originalen Bild (zum Teil mit Bedeutungswandel, wie im ersten Beispiel, zum Teil mit zusätzlichen Abwandlungen entsprechend (b), wie im zweiten Beispiel): 

Bsp: à propos de bottes ... d'oignons                              (Hécatombe)
on fait (force de) trous dans (ma) lune ... de miel             (Le cocu)
qui tenait le dessus de mon panier ... de fleurs                (Le cocu)
la face cachée de la lune ... de miel                               (Pénélope)
la petite sœur des pauvres ... de nous                            (Femme d'Hector)
laisser la clé sous la porte ... des Lilas                           (Les lilas)
tomber du ciel ... d'orage                                               (L'orage)
m'as-tu-vu ... dans-mon-joli-cercueil                               (Funérailles d'antan)
m'as-tu-vu ... quand-je-baise                                          (95 pour cent)

(d) Mehrfachvariationen idiomatischer Wendungen (Phraseologismus im Phraseologismus): 

Bsp: LE VIN:
- tourner sept fois sa langue dans sa gueule de bois avant de chanter...
 (von: il faut tourner sept fois sa langue dans sa bouche avant de parler)
- on se garde à vue, en cas de soif, une poire
 (garde à vue + se garder une poire pour la soif)

HÉCATOMBE:

- (les gaillardes) se crêpaient le chignon à propos de bottes d'oignons
  (von: se battre à propos de bottes)

LA RONDE DES JURONS:

- jurer à langue raccourcie
  (von: frapper à bras raccourcis)

LA NON-DEMANDE EN MARIAGE:

- maîtresses-queux qui attachent leur cœur aux queues des casseroles
  (von: attacher des casseroles aux queues des chiens [jeu cruel des enfants)

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Auf vorgenannter Grundlage ließen sich weitere Übersetzungsmöglichkeiten ins Auge fassen, die sich näher an den stilistischen Eigenheiten des originalen Autors orientieren denn an dem Versuch einer zu wörtlichen bzw. zu abstrakten Wiedergabe. Wird auf abstrakter Ebene das behandelte Beispiel interpretatorisch in den Gesamtkontext eingeordnet, so heißt doch die erwähnte Passage:

(Ich hoffe darauf...) dass den knickrigen Kerl der Tod erwische...
Wenn auch für die originale Wendung couper l'herbe aux pieds de qqn keine direkte deutsche Entsprechung existiert, so muss es möglich sein, zum konkret-sprachlichen Ausdruck dieses Gedankens eine passende idiomatische Wendung zu finden, deren bildliche Motivation einen Querbezug auf den Tod (Schnitter, Sensenmann) gestattet.
 

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2.4 Analoge Neuidiomatisierung

Diese bedeutet die Auswahl einer Wendung, deren originales Bild analog zum Original einen Querbezug zum Sensenmann bzw. anderweitig zum aktuellen Kontext herstellt. Eine Variante wäre jmdm den Schneid abkaufen, wobei diese Wendung in der übertragenen Bedeutung der originalen Wendung sehr nahe steht (allerdings ist die Verbindung Schnitter - Schneid ein etwas diffizil wiederzuerkennender Bezug):

Dass der Schnitter aus vollem Lauf
Dem Geizhals seinen Schneid abkauf'...
oder:
Dass der Tod binnen kurzer Frist
Ihm mitteil', dass nun Sense ist...


2.5 Neuidiomatisierung mit Substition

Hier wird, analog zu Georges Brassens' allgemeiner Vorgehensweise [siehe Absatz 2.3(a)], eine zielsprachliche idiomatische Wendung gewählt, die zwar keinen vordergründigen Querbezug zum aktuellen Kontext herstellt, aber über einen vorgegebenen Bezug auf diesen abgewandelt werden kann. Das wäre (über den Sammelbegriff Garten/Ackergeräte) zum Beispiel möglich mit: jmdm zeigen, was 'ne Harke ist (es sei darauf verwiesen, dass die Formulierung jmdm zeigen, was eine Harke ist nicht typisch ist; diese Wendung existiert nicht hochsprachlich, sodass hier die Möglichkeit haben, ganz organisch zwei Besonderheiten von Georges Brassens nachvollzuziehen: den Einsatz nichthochsprachlicher Wendungen und die Apostrophierung:

Dass der Tod binnen kurzer Frist
Dem Kerl zeig', was 'ne Sense ist.


2.6 Neuidiomatisierung und Aktualisation mit Zusatz

Diese Möglichkeit und Punkt 2.5 sind fast gleichbedeutend. Allerdings wird hier, analog zu Georges Brassens variierter Behandlung von idiomatischen Wendungen und Phraseologismen gemäß Punkt 2.3(c), von einer zielsprachigen idiomatischen Wendung ausgegangen, die dem Original in der übertragenen Bedeutung entspricht bzw. nahekommt. Nicht immer sind analoge Wendungen erweiterbar. Eine Möglichkeit der Erweiterung bestünde beim Spiel mit der Wendung jmdm den Teppich unter den Füßen wegziehen in der Erweiterung von Teppich auf Grasteppich:
Es zieh' derTod dies'm Menschenschreck
Den Grastepp'ch untern Füßen weg.

Es zieh' der Sensenmann ihm keck
Den Grastepp'ch untern Füßen weg.


2.7 Neuidiomatisierung mit Mehrfachvariation

Analog zu Georges Brassens' Verfahrensweise gemäß Punkt 2.3(d) kann weiter variiert werden. Da wäre zum Beispiel die Wendung ich warte, dass den Geizhals der Tod holt als nichtidiomatischer Phraseologismus; als solche ist sie nicht verwendbar, da sie der allgemeinen Anschauung von Georges Brassens nicht entspricht, weil sie indirekt die Frage impliziert, wohin der Geizhals den Tod holt. Diese Nuance ist vorliegendem Chansons abträglich, da die Ich-Figur nur wünscht, dass ihm der Nebenbuhler aus dem Weg ist. Über die Komponente holen jedoch ließe sich die (allerdings dem Sport entlehnte) idiomatisch-argotische Wendung ins Auge fassen: jmdn von den Füßen/Beinen holen:

Dass der Tod bald aufs G'ratewohl
Den Geizhals von den Füßen hol...
Interessant wäre diese Variante, weil nicht nur hintergründig ein Querbezug zwischen Tod und holen (über den Phraseologismus der Tod holt jemanden bzw. sich den Tod holen) besteht, sondern auch ein Querbezug auf das Original: pieds - Füße). Aus übersetzerischer Sicht wäre das sehr wohl möglich und würde dazu beitragen, die Übersetzung relativ selbständig zu halten und durch Knüpfung zwischensprachlicher Bande doch als stellvertretend für ein fremdsprachiges Original auszuweisen.
Eine weitere Möglichkeit von Mehrfachvariation ist die folgende, die eigentlich in engem Zusammenhang mit Punkt 2.5 zu betrachten ist:
Es schneid' der Sensenmann ihm keck
Das Gras unter den Füßen weg...
Es handelt sich hier um eine Doppelsubstitution, indem die Wendung jmdm den Teppich unter den Füßen wegziehen ersetzt wird durch: jmdm das Gras unter den Füßen wegschneiden. Noch deutlicher wäre möglich:
Es schneid' der Sensenmann ihm keck
Den Grastepp'ch untern Füßen weg...


2.8 Direkt-inhaltliche Neuidiomatisierung

Abschließend sei darauf verwiesen, dass es auch möglich wäre, idiomatische Wendungen zu wählen, die statt eines Querbezuges auf das Substantiv faucheuse in direkt inhaltlicher Beziehung zum Sensenmann stehen, d.h. Wendungen, die die Schlussfolgerung aus dem originalen Bild deutlich, d.h. in ihrer übertragenen Bedeutung, zum Ausdruck bringen, also idiomatische Wendungen, die den Tod, d.h. das Sterben bedeuten, z.B.:

Dass es dem Sensenmann geling'
Und er ihn um die Ecke bring'...
Allgemein ist von einer solchen Vorgehensweise abzuraten, obwohl sie zweifellos möglich ist, da die Übersetzung sich nicht mehr auf gleicher Ebene wie das Original bewegt. Auch wird immer am konkreten Beispiel zu prüfen sein, ob das Chanson in seiner Aussage so nicht verzerrt dargestellt wird. Im vorliegenden Beispiel ist letzteres der Fall, immerhin bedeutet couper l'herbe aux pieds de qqn im Original nicht zwangsläufig das Sterben, sondern erlangt diese (interpretatorische) Bedeutung allein durch den Querbezug auf das Substantiv faucheuse. Das Original überlässt dem französischen Hörer die Schlussfolgerung aus der Formulierung, dass der Knicker sterben möge. Auf interpretatorischer Ebene wird die Ich-Figur durch die hier angegebene Übersetzungsmöglichkeit in ein gewaltig verändertes Licht gerückt. Die Wendung ...dass der Tod ihn um die Ecke bringt klingt nach Töten (nicht Sterben) und schiebt hintergründig die Wertung in die Interpretationsebene, dass die Ich-Figur beim Sterben am liebsten nachhelfen würde. Nicht so im Original, wo die Ich-Figur der Angelegenheit gegenüber ganz wehrlos dasteht und diesem alten Geizkragen den natürlichen Tod wünscht. In allen Chansons von Georges Brassens, auch bei so militanten wie Hécatombe, steht das menschliche Leben an oberster Stelle; niemand hat das Recht, es anderen wegzunehmen. Dies ist der anarchistische Ton in Georges Brassens' Chansons, die aber die Tötung fremden Lebens niemals rechtfertigen: Car, enfin, la camarde est assez vigilante, elle n'a pas besoin qu'on lui tienne la faux...
 

2.9 Aktualisierung des Kontextes

Letztere Möglichkeit sei hier der Vollständigkeit halber und nur rein hypothetisch genannt, da sie sehr selten anwendbar und im vorliegenden Falle unmöglich ist. Bei einer solchen Lösung wird die zielsprachige Entsprechung des Originals gewählt, aber nicht die idiomatische Wendung auf den Kontext aktualisiert, sondern der Kontext auf die idiomatische Wendung abgestimmt. Hypothetisch wäre dies im vorliegenden Falle:

Dass Fleischer Tod in Bälde dem
Kerl die Wurst von der Stulle nehm'
oder:
Dass Käpten Tod in Bälde dem
Kerl den Wind aus den Segeln nehm'
oder verzwickter:
Dass Käpten Tod im Sturmlauf käm',
Ihm den Wind aus den Segeln nähm'
oder ganz verwickelt:
Dass Sä'mann Tod als Schnitter käm,
Ihm den Wind aus den Segeln nähm...
Letzteres, bewusst gefördertes Fehlverständnis (Sämann-Seemann) im zusätzlichen Gegensatz-Bezug (Sämann-Schnitter) überkompliziert jedoch die wie leichtfüßig hingeworfene Bemerkung des Originals und überfrachtet das Ganze.

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An anderer Stelle jedoch (im Chanson Celui qui a mal tourné) habe ich eine Abwandlung, wie hier rein hypothetisch angegeben, vorgenommen, wobei jedoch die tatsächliche Bedeutung, die die jeweilige Textpassage für den Fortlauf der Handlung bzw. den Gesamtkontext hat, letztlich entscheidet, ob eine Variierung des Kontextes möglich ist. Bei Celui qui a mal tourné erschien eine solche Abwandlung möglich, insbesondere da croque-mort ohne stilistisches Pendant im Deutschen ist:  

Tous les croqu'-morts, silencieux
Me dévoraient déjà des yeux.
Ma dernière heure allait sonner.
C'est alors que j'ai mal tourné.

(© 1957 Éditions Musicales 57)

Die Leichenbitt'r sahn alle Mann
Mich schon nicht mehr einladend an;
Ich sah mein letztes Stündlein nahn
Und geriet auf die schiefe Bahn!

 

Brassens stellt hier einen zusätzlich zum eigentlichen Inhalt bestehenden Querbezug zwischen croque-mort und dévorer qqn des yeux her: croquer (knabbern, anknabbern, schlingen [=gierig essen]) und dévorer (verschlingen). Beide Verben befinden sich dabei jeweils in Phraseologismen eingebettet, wo die eigentliche Bedeutung der Verben nur abgeschwächt ins Bewusstsein des Hörers/Lesers gelangt. Im Original bedeuten die zwei Zeilen vordergründig:Alle Leichenträger verschlangen mich schweigsam schon mit den Augen. Wenn man bedenkt, dass das scherzhafte bis spöttische croque-mort in der Motivationsbedeutung etwa Leichenfresser bedeutet, erhält der heimliche Querbezug einen (wenn auch formalen, auf den Inhalt keinen Einfluss ausübenden) Sinn: Die Leichen(an)knabbrer haben mich alle schon mit den Augen verschlungen. Im Deutschen wäre ein vergleichbares Spiel: Die Leichenbeschauer verschlangen mich bereits mit den Augen. Nun ist die Leichenschau eine ärztliche Aufgabe, während die soziale Stellung des (traditionellen) Leichenträgers nicht sonderlich hoch war. Auf Grund der allgemein für Georges Brassens typischen und hier besonders auffälligen Ausrichtung auf das Altertümliche findet sich croque-mort hier im Deutschen als Leichenbitter übersetzt, Leichenbitter als eine Person, der (vor allem in ländlichen Gebieten) die Aufgabe übertragen wird, reihum einen Todesfall bekanntzugeben und zur Beerdigung einzuladen. Im Deutschen sieht sich der Leichenbitter der Wendung jmdn nicht sehr einladend ansehen analog gegenübergestellt (über einladen/bitten). Natürlich bringt ein solches (auf die formal-stilistische Seite gerichtetes) Vorgehen gewisse inhaltliche Veränderungen/Verschiebungen mit sich. Im Original beschwören die croque-morts silencieux das Bild sitzender, reglos wartender Geier herauf und über das Bild der Geier die auf einen Todesfall und damit auf einträgliche Einkünfte lauernden Bestatter (was wieder ein typisch Brassensscher, versteckter Seitenhieb auf die Kostspieligkeit des Lebens wie des Todes ist). Im Deutschen schwebt im Hintergrund das Bild der Leichenbittermiene. Inhaltlich erschließen sich daraus zwei Ebenen; eine direkt interpretatorische Schlussfolgerung ist: Die Umwelt schaut schief (mit düsterer Miene) auf die (herabgekommene) Ich-Figur. Indirekt steht im Hintergrund jedoch auch: Beim nächsten Todesfall in der näheren Umgebung wird die Ich-Figur (weil von der Umwelt nicht gern gesehen) ausgeladen bleiben, sodass nicht einmal ein Gratis-Essen (sprich Leichenschmaus) ins Haus steht; diese Übersetzungsvariante also mit Querbezug auf das Chanson Les funérailles d'antan.

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2.10 Stilistische Disloziierung (Idiomatisierung neutraler Passagen)

Da man davon ausgehen kann, dass bei der Übersetzung stets unweigerliche Verluste auftreten, muss es dem Übersetzer gestattet sein, sich im Deutschen für eine analoge Sprachbehandlung anbietende Phraseologismen an anderer Stelle im Text zu suchen bzw. zuzulassen (Kompensierung stilistischer Verluste). Ein Beispiel aus meiner Übersetzung von Les amoureux des bancs public:

N'empêch' que tout' la famill',
Le pèr', la mèr', la fill',
Le fils, le Saint-Esprit,
Voudraient bien de temps en temps pouvoir s'conduire comme eux

(© 1952 Édition Intersong - Paris)
In meiner deutschen Übertragung:
Würd' es die Familie doch,
Ja - Vater, Mutter, Toch-
ter, Sohn und Heil'ger Geist,
Ihnen durch die Bank gern gleichtun, wenn sie das nur dürft.
Das deutsche durch die Bank bringt hier keinerlei zusätzliche Bedeutung in den Text. Die deutsche Sprache bietet jedoch einen Phraseologismus, der sich nahtlos in den Kontext der Parkbänke einfügt und so ganz der Brassensschen Verfahrensweise entspricht. (Zur Disloziierung des Brassensschen Wort-Enjambements [hier: Toch...ter und doch] siehe Punkt 3.3.)
 
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3 ENTSCHEIDUNGSFINDUNG

3.1 Zwischensprachliche Assoziationsfelder

Die Suche nach stilistisch angemessenen Übertragungsvarianten lässt sich wie folgt beschreiben: Ausgehend von der originalen, zu übersetzenden Wendung wird ein ganzes Feld lexikalischer Bezugspunkte, eine Kette sprachlicher Zusammenhänge wie eine Art Musterfolge gebildet. Die wesentlichen Komponenten der übertragenen Wendung (sowie ihre Bezugspunkte zum Kontext, d.h. z.B. steckt in couper auch die zum Wort faucheuse weisende Komponente faux - Sense) werden ähnlich einem synonymischen Feld bei Übersetzung einzelner Begriffe ihrem Pendant bzw. ihren Pendants im Deutschen zugeordnet, wonach das lexikalisch-phraseologische Feld der gefundenen zielsprachlichen Begriffe "abgegrast" wird.
que (la faucheuse) vienne couper l'herbe aux pieds à(de) (ce grigou)

a) couper schneiden (jmdm den Weg abschneiden, jmdm ins Fleisch schneiden...
Schneid (jmdm den Schneid abkaufen)
Schneide (auf des Messers Schneide, zweischneidiges Schwert...)
Schnitt (im Schnitt, Schnittpunkt, Schnittstelle...)

Sense (es ist Sense, Sense machen...)
Klinge (jmdn über die Klinge springen lassen...)
...

b) l'herbe Gras (ins Gras beißen lassen, Gras über eine Sache wachsen lassen...)
grasen
Kraut (ins Kraut schießen, Kraut und Rüben...)
Erde (unter die Erde bringen, zur Erde zurückholen...)
Boden (jmdn. zu Boden strecken, auf den Boden zurückholen...)
Feld...

c) aux pieds Fuß (zu Füßen, von den Füßen holen, zu Fuß, von Kopf bis Fuß, auf die Füße treten...)
Schritt (jmdm den Schritt verstellen, schnellen Schrittes...)
Bein (von den Beinen holen...)
...

Diese »Bestandsaufnahme« nimmt indes lediglich bezug auf normierte Wendungen (analog Punkt 2.3(a)). Durch das Heranziehen zusätzlicher, allein zielsprachiger Assoziationen (was der formale Seite des Textes entspricht) erweitert sich das gefundene lexikalisch-assoziative Feld immens. So zum Beispiel der Weg von Sense über Garten- und Ackergeräte zu Harke, von dort zu jmdm zeigen, was 'ne Harke ist (was auch ohne Abänderung zu jmdm zeigen, was 'ne Sense ist als Übertragung funktionieren könnte:
Dass doch der Sensenmann mit List
Dem Kerl zeig', was 'ne Harke ist).
Eine phonetisch bedingte Variation wäre: inhaltlich von Fuß zu Schritt, von dort ins lexikalische Feld zum phraseologischen, wenn auch nicht übertragen gebildeten schnellen Schritts, dann lautlich von Schritt zu Schnitt :
Dass doch der Sens'mann schnellen Schnitts
Dem Geizhals in die Quere flitz'
Es lassen sich schier unendliche Kombinationsmöglichkeiten vermuten, die am Ende den originalen Inhalt mit stilistisch so prägnanten deutschsprachigen Elementen ausdrücken, dass die Übersetzung ihrerseits unübersetzbar wird. Wenn auch die Unübersetzbarkeit (bzw. Un-Rückübersetzbarkeit) der deutschen Variante nicht das Ziel ist, so ist sie eine zwangsläufige Eigenschaft der für die Übertragung geeignet befundenen deutschen Entsprechung.

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3.2 Formal-stilistische Entscheidungsfindung

Nachdem nun alle naheliegenden Möglichkeiten zur Übersetzung des Unübersetzbaren (im phraseologisch-idiomatischen Umfeld) abgesteckt wurden, gilt es, eine Entscheidung zu treffen, welche der möglichen Varianten im Zusammenspiel von Form und Inhalt dem Original am besten gerecht wird. In diesem Zusammenhang müssen die interpretatorischen (wie auch stilistischen etc.) Auswirkungen der Übersetzung ausgelotet werden, um nicht (wie z.B. im vorangegangenen Kapitel anhand der Wendung jmdn um die Ecke bringen aufgezeigt) in der Interpretierbarkeit der Wendung eine Verzerrung bzw. übermäßige Abweichung der inhaltlich-interpretatorischen Dimension zuzulassen. Die dem Original am nächsten stehende Variante findet sich im Punkt 4, wo eine analog motivierte deutsche idiomatische Wendung gewählt wird. Die Wendung jmdm den Schneid abkaufen wirkt jedoch im Querbezug Schneid - Schnitter/Sensenmann im Vergleich zum Original (faucheuse - couper l'herbe) etwas spitzfindig-versteckt, sodass sie nicht in die nähere Wahl fällt. Dagegen bietet das Spiel mit der Wendung es ist Sense bessere Einsatzmöglichkeiten. Natürlich kann faucheuse dann nicht mit Sensenmann als eigentlich originalgetreueste Übersetzung wiedergegeben werden (vom normierten Geschlecht des personifizierten Todes hier einmal abgesehen, näheres dazu im Artikel Onkel Archibald und der schöne Tod), sondern entweder mit Tod, welcher spätestens durch das Verb als Personifizierung verstanden wird, oder mit dem altertümlichen Schnitter. Die nunmehr ins Auge gefasste Wendung

Dass der Tod binnen kurzer Frist
Dem Geizhals sag', dass Sense ist!
klingt jedoch im Ohr äußerst statisch gegenüber dem weniger feststellenden, sondern kräftig sensenden Original. Etwas besser dagegen erscheint die in Punkt 5 dargestellte Möglichkeit der aufs behandelte Thema abgewandelten idiomatischen Wendung:
Dass der Tod binnen kurzer Frist
Dem Kerl zeig', was 'ne Sense ist.
Während das einfache es ist Sense kaum über die konkret-inhaltliche Ebene hinausgeht, gewinnt das letztgenannte Spiel mit der Wendung jmdm zeigen, was 'ne Harke ist auf interpretatorischer Ebene zusätzlich an Bedeutung, weshalb es für die Übersetzung weitaus interessanter ist, insbesondere weil diese zusätzliche Bedeutung, welche im Original nicht vorhanden ist, sich hintergründig wunderbar in den Gesamtkontext einpasst. In der Vorstrophe des Chansons Comme une sœur wurde der Rivale als une espèce de mercantil, un vieux maroufle, un gros sac d'or, plus vieux qu'Hérode et que Nestor beschrieben, also als eine Krämerseele, ein Geldsack, ein genauso steinreicher wie steinalter Knochen. Aus der oben erwähnten Variante Der Tod zeige ihm, was 'ne Sense ist ergibt sich neben der direkten, konkret-inhaltlichen Bedeutung, dass der Tod den Geizhals bald holen solle, in indirekt-inhaltlicher Bedeutung jedoch: Der Tod zeige ihm, wie es ist, zupacken zu müssen, sein Geld mit praktischer Arbeit verdienen zu müssen (als hintergründig-spiegelbildlicher Bezug zum Leben in Reichtum); daraus ergibt sich als komplexe, abstrakt-inhaltliche interpretatorische Ableitung: Der Tod mache endlich ein Ende mit diesem (in Sachen Reichtum wie Lebensalter) so verwöhnten Geizkragen. Diese abstrakt-inhaltlichen Konsequenzen machen das Spiel mit der Wendung jmdm zeigen, was 'ne Harke ist so interessant für die Übersetzung, dass die anderen angedeuteten Varianten dahinter zurückbleiben. Georges Brassens ist im allgemeinen nicht so überzeugend durch das formale Spiel mit übertragenen Wendungen, sondern durch das gedankliche Spiel, das sich im interpretatorischen Hintergrund daraus ergibt. Deshalb bringt die Wendung jmdm zeigen, was 'ne Sense ist sowohl formal-stilistisch als auch hintergründig-inhaltlich zwei wesentliche Besonderheiten von Georges Brassens' ins Deutsche, obwohl im behandelten Falle das formal-stilistische Spiel im Französischen zu keinen analogen abstrakt-inhaltlichen Wertungen führt. In diesem Sinne wird an dieser Stelle das Original interpretatorisch erweitert, aber dafür Georges Brassens in seinen Besonderheiten kompensatorisch übersetzt, d.h. es wird an dieser Stelle die Brassenssche Besonderheit des inhaltlich weiterreichenden sprachlichen Spieles wiedergegeben, welche an anderer Stelle oft verloren geht. Auf der Suche nach der Wiedergabe der formalen und stilistischen Besonderheiten des Autors und unter prophylaktischer Einrechnung von bei der Übersetzung zwangsläufig eintretenden Verlusten werden sich ergebende inhaltliche Erweiterungen und Verschiebungen akzeptiert, sofern in den konkreten Kontext des Chansons integrierbar und sofern mit den Anschauungen des Autors vereinbar.
 
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3.3 Formal-poetische Aspekte in der Entscheidungsfindung

Ist die endgültige Entscheidung dann getroffen, welche inhaltliche bzw. formal-stilistische Variante für die Übersetzung am geeignetsten ist, ist auch die kompositorische bzw. dichterische Einordnung der gewählten Variante zu überdenken. Im vorliegenden Beispiel durchzieht der Reim das Wort couper, wodurch sich ein Reim auf grigou ergibt. Dieses Enjambement durch das Wortinnere ist für Georges Brassens' Behandlung der Reime typisch, sodass auch eine Wiedergabe dieser Brassensschen Eigenheit ins Auge gefasst werden sollte. Während Georges Brassens in anderen Chansons (Le vin, Le vieux Léon) dem Reim durchs Wortinnere eine poetisch-traditionelle Bedeutung (Untergliederung des klassischen französischen Alexandriner Verses) sowie zum Teil sogar inhaltliche Bedeutung abzuringen weiß (siehe Analyse des Chansons Le vin [PDF-Format]), erscheint dieser Reim im hier behandelten Chanson nur einmal, genau an der hier behandelten Stelle. Andererseits habe ich in anderen Chansons, wie z.B. bei Les amoureux des bancs publics (siehe Beispiel unter 2.10) oder Le grand Pan, einen gleichermaßen isoliert auftretenden Reim in der Übersetzung angewandt, wo im Original kein einziger Reim dieser Art auftrat (wieder die kompensatorische Übertragungsweise). In diesem Sinne wäre es gerechtfertigt, hier auf einen Reim im Wortinneren zu verzichten. Auch könnte man einen analogen Reim in einer anderen Strophe verwirklichen, was als eine Kompensation (bzw. Disloziierung von poetischer Form) innerhalb des gleichen Chansons zu verstehen wäre. Dennoch bieten sich im folgenden Möglichkeiten, auch diese Brassenssche Besonderheit an gleicher Stelle ins Deutsche zu bringen. Das Wort grigou kehrt ohnehin nicht als Geizhals/Geizkragen/Knausrer/Knicker wieder, sondern einfach als Kerl. Warum also grigou über das gemeinsame Dritte (Schimpfwort) nicht unter konkret-inhaltlicher Verschiebung auf Mistkerl abwandeln, wenn dies uns gestattet, Brassens' poetischem Ansatz nahezukommen (nun im Zusammenhang):

 

Et depuis leurs noces j'attends, 
Le cœur sur des charbons ardents, 
Que la faucheuse vienne cou- 
per l'herbe aux pieds de ce grigou...
  (ficher MP3-- 216 ko)
Seit ihrer Hochzeit* schwelt verstohl'n
Mein Herz wie auf glühenden Kohl'n,
Dass doch der Tod bald diesem Mist-
kerl zeige, was 'ne Sense** ist...
  (MP3-Datei -- 241 kB)

* depuis leurs noces hieß in meiner ersten Variante seit jener Hochzeit, was bedeutet, dass eine normalsprachliche Formulierung des Französischen im Deutschen als variierter Phraseologismus (im Sinne von Punkt 6) wiedergegeben wird, nämlich der (allerdings nicht bildlich motivierte) Phraseologismus seit jener Zeit in der Variation seit jener Hochzeit.
** eine ebensogut singbare und gleichwertige Zweit- bzw. Parallelvariante ist folgende: Dass bald der Sensenmann dem Mist // kerl zeige, was 'ne Harke ist. Hier bleibt das phraseologische Bild analog zum Französischen unverändert und ist rein formal-stilistisch noch eine Winzigkeit näher am Original. Ich persönlich bin jedoch bei der oben angegebenen Variante geblieben, weil das gemeinsame Auftreten von Sense und Harke das Ganze bildlich wohl doch ein wenig überfrachtet.

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