DER STARKE TOBAK DES MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann |
Et depuis leurs noces j'attends, Erst einmal ungeachtet des Reim-Enjambements durch das Wort cou//per, sollen die Möglichkeiten untersucht werden, die zur Übersetzung der Wendung couper l'herbe aux pieds de qqn (bzw. normiert couper l'herbe sous les pieds de qqn) hier an dieser Stelle existieren. Diese idiomatische Wendung findet sich im PETIT ROBERT wie folgt beschrieben: frustrer qqn d'un avantage en le devançant, en le supplantant; sie bedeutet übertragen also so viel wie: jmdm zuvorkommen, jmdn übertreffen, im zu Grunde liegenden Bild: jmdm das Gras zu Füßen schneiden, bzw., um ein deutsches Bild zu gebrauchen: jmdm den Teppich unter den Füßen wegziehen (wobei die deutsche Wendung hier mehr bedeutet, an jmds Existenz zu rütteln). Im Original wird die Wendung zweiwertig gebraucht, zum einen in der übertragenen Bedeutung kontextlich eingeordnet (dass der Tod diesem Knausrer zuvorkomme), zum anderen stellt sich zwischen dem Substantiv faucheuse (Tod, Schnitter, Sensenmann) und dem (nicht wörtlich verstandenen) Bestandteil l'herbe ein zusätzlicher Querbezug her, durch welchen die idiomatische Wendung entidiomatisiert und die zu Grunde liegende Metapher aktualisiert wird. Diesen Querbezug will ich versuchsweise formal-inhaltlich nennen, denn das formal begründete Spiel knüpft eine Art geheimes inhaltlich-bedeutungsmäßiges Band: ...dass der Sensenmann diesem Knausrer das Gras zu Füßen mähe. Da es im Deutschen keine idiomatische Wendung mit analoger Metapher gibt, wäre zu untersuchen, welche Möglichkeiten sich dem Übersetzer zur Übertragung darbieten und inwiefern diese Möglichkeiten mit der originalen Art und Weise der Verwendung sprachlicher und stilistischer Formen vereinbar sind. (Bei allen im nachfolgenden aufgeführten deutschen Beispielen ist nur der Vollständigkeit halber der Reim realisiert worden, es geht uns hier nicht um deren Qualität noch um die Kompatibilität der für den Reim eingefügten deutschen Wörter.) Nun zu den verschiedenen Möglichkeiten, die sich dem Übersetzer im vorliegenden Fall anbieten: Seit ihrer Hochzeit schwelt verstohl'n 2.1 Entidiomatisierung/Entmetaphorisierung: Die originale Wendung wird ohne Bild unter Wahl einer nichtidiomatischen, wenn auch phraseologisch festgefügten Wendung (auf abstrakt interpretatorischer Ebene) wiedergegeben: Dass doch der Sensenmann auf Erd'Metrisch besser: Dass doch der Sensenmann auf Erd'
Es könnte eine idiomatische Wendung gewählt werden,
die eine
analoge übertragene Bedeutung besitzt, aber keinen Querbezug zum
aktuellen
Kontext eingeht, z.B: jmdm den Wind aus den Segeln (die Wurst von
der
Stulle) nehmen, jmdm den Teppich untern Füßen wegziehen...
Es zieh' der Sensenmann ihm keckoder: Dass doch der Sensenmann schnell demoder: Dass doch der Sensenmann schnell dem
Das original durch den Querbezug faucheuse-herbe zusätzlich zur übertragenen Wendung in den aktuellen Kontext vorgeschobene Bild wird "wörtlich" übersetzt, d.h. das ursprünglich normierte, in der idiomatischen Wendung erstarrte Bild erscheint im Deutschen als zufällige, nicht normierte Metapher: Dass ihn der Sensenmann erspäh'
Dieses für den deutschen Hörer nicht festgefügte Bild
wird
sehr ähnlich der originalen idiomatischen Wendung verstanden. Das
Verständnis der Metapher ist aber in der interpretatorischen Ebene
versunken, während es sich im Französischen an der
sprachlichen
Oberfläche befindet.
Zurück nach oben ########################################################################################################## In allen drei vorgenannten Fällen leidet die stilistisch-formale Komponente des Originals. Denn Georges Brassens verwendet hier eine gleichzeitig wörtlich und übertragen zu verstehende Wendung, was für seine Lyrik eine typische Vorgehensweise darstellt. In beiden Fällen oben ist der aktuelle Kontext gewahrt, aber die Sichtweise des Autors (wie sie in der Sprachbehandlung zum Ausdruck kommt), der Gestus, ist auf der Strecke geblieben. Wir haben das Chanson Comme une sœur übersetzt, aber nicht Georges Brassens. Georges Brassens spielt mit Vorliebe mit festgefügten, im täglichen Gebrauch mehr oder weniger erstarrten, meist anschaulich-bildlichen Wendungen (oder Zitaten). Dabei sind vier wesentliche Verfahrensweisen erkennbar: (a) Aufgreifen von idiomatischen Wendungen, deren originales Bild inhaltliche Querbezüge zum aktuellen Kontext aufweisen (wie oben gesehen): Bsp: ma
vieille branche, sacré nom
d'un'
pipe
(Auprès de mon arbre) (b) Aktualisierung von idiomatischen Wendungen durch Austausch einer Komponente des originalen Bildes (Substitution), wobei die ausgetauschte Komponente zur neuen Komponente in einem bestimmten inhaltlichen Zusammenhang [metaphorischer, hyperonymischer, phonetischer o.a. Art] steht: (i) inhaltlicher Bezug: (ii) formaler Bezug (Gleichklang):
(c) Aktualisierung von idiomatischen Wendungen durch Zusätze zum originalen Bild (zum Teil mit Bedeutungswandel, wie im ersten Beispiel, zum Teil mit zusätzlichen Abwandlungen entsprechend (b), wie im zweiten Beispiel): Bsp: à
propos de bottes ...
d'oignons
(Hécatombe) (d) Mehrfachvariationen idiomatischer Wendungen (Phraseologismus im Phraseologismus): Bsp: LE VIN:
(Ich hoffe darauf...) dass den knickrigen Kerl der Tod erwische...
Wenn auch für die originale Wendung couper l'herbe aux pieds
de
qqn keine direkte deutsche Entsprechung existiert, so muss es
möglich
sein, zum konkret-sprachlichen Ausdruck dieses Gedankens eine passende
idiomatische Wendung zu finden, deren bildliche Motivation einen
Querbezug
auf den Tod (Schnitter, Sensenmann) gestattet.
Zurück nach oben 2.4 Analoge Neuidiomatisierung Diese bedeutet die Auswahl einer Wendung, deren originales Bild analog zum Original einen Querbezug zum Sensenmann bzw. anderweitig zum aktuellen Kontext herstellt. Eine Variante wäre jmdm den Schneid abkaufen, wobei diese Wendung in der übertragenen Bedeutung der originalen Wendung sehr nahe steht (allerdings ist die Verbindung Schnitter - Schneid ein etwas diffizil wiederzuerkennender Bezug): Dass der Schnitter aus vollem Laufoder: Dass der Tod binnen kurzer Frist
Hier wird, analog zu Georges Brassens' allgemeiner Vorgehensweise [siehe Absatz 2.3(a)], eine zielsprachliche idiomatische Wendung gewählt, die zwar keinen vordergründigen Querbezug zum aktuellen Kontext herstellt, aber über einen vorgegebenen Bezug auf diesen abgewandelt werden kann. Das wäre (über den Sammelbegriff Garten/Ackergeräte) zum Beispiel möglich mit: jmdm zeigen, was 'ne Harke ist (es sei darauf verwiesen, dass die Formulierung jmdm zeigen, was eine Harke ist nicht typisch ist; diese Wendung existiert nicht hochsprachlich, sodass hier die Möglichkeit haben, ganz organisch zwei Besonderheiten von Georges Brassens nachvollzuziehen: den Einsatz nichthochsprachlicher Wendungen und die Apostrophierung: Dass der Tod binnen kurzer Frist
Diese Möglichkeit und Punkt 2.5 sind fast
gleichbedeutend. Allerdings
wird hier, analog zu Georges Brassens variierter Behandlung von
idiomatischen
Wendungen und Phraseologismen gemäß Punkt 2.3(c), von einer
zielsprachigen idiomatischen Wendung ausgegangen, die dem Original in
der
übertragenen Bedeutung entspricht bzw. nahekommt. Nicht immer sind
analoge Wendungen erweiterbar. Eine Möglichkeit der Erweiterung
bestünde
beim Spiel mit der Wendung jmdm den Teppich unter den
Füßen
wegziehen in der Erweiterung von Teppich auf Grasteppich:
Es zieh' derTod dies'm Menschenschreck
Analog zu Georges Brassens' Verfahrensweise gemäß Punkt 2.3(d) kann weiter variiert werden. Da wäre zum Beispiel die Wendung ich warte, dass den Geizhals der Tod holt als nichtidiomatischer Phraseologismus; als solche ist sie nicht verwendbar, da sie der allgemeinen Anschauung von Georges Brassens nicht entspricht, weil sie indirekt die Frage impliziert, wohin der Geizhals den Tod holt. Diese Nuance ist vorliegendem Chansons abträglich, da die Ich-Figur nur wünscht, dass ihm der Nebenbuhler aus dem Weg ist. Über die Komponente holen jedoch ließe sich die (allerdings dem Sport entlehnte) idiomatisch-argotische Wendung ins Auge fassen: jmdn von den Füßen/Beinen holen: Dass der Tod bald aufs G'ratewohl
Interessant wäre diese Variante, weil nicht nur hintergründig
ein Querbezug zwischen Tod und holen (über den
Phraseologismus der
Tod holt jemanden bzw. sich den Tod holen) besteht, sondern
auch ein Querbezug auf das Original: pieds - Füße).
Aus
übersetzerischer Sicht wäre das sehr wohl möglich und
würde
dazu beitragen, die Übersetzung relativ selbständig zu halten
und durch Knüpfung zwischensprachlicher Bande doch als
stellvertretend
für ein fremdsprachiges Original auszuweisen.
Eine weitere Möglichkeit von Mehrfachvariation ist die folgende,
die eigentlich in engem Zusammenhang mit Punkt 2.5 zu betrachten ist:
Es schneid' der Sensenmann ihm keck
Es handelt sich hier um eine Doppelsubstitution, indem die Wendung jmdm
den Teppich unter den Füßen wegziehen
ersetzt
wird durch: jmdm das Gras unter den Füßen wegschneiden.
Noch deutlicher wäre möglich:
Es schneid' der Sensenmann ihm keck
Abschließend sei darauf verwiesen, dass es auch möglich wäre, idiomatische Wendungen zu wählen, die statt eines Querbezuges auf das Substantiv faucheuse in direkt inhaltlicher Beziehung zum Sensenmann stehen, d.h. Wendungen, die die Schlussfolgerung aus dem originalen Bild deutlich, d.h. in ihrer übertragenen Bedeutung, zum Ausdruck bringen, also idiomatische Wendungen, die den Tod, d.h. das Sterben bedeuten, z.B.: Dass es dem Sensenmann geling'
Allgemein ist von einer solchen Vorgehensweise abzuraten, obwohl sie
zweifellos
möglich ist, da die Übersetzung sich nicht mehr auf gleicher
Ebene wie das Original bewegt. Auch wird immer am konkreten Beispiel zu
prüfen sein, ob das Chanson in seiner Aussage so nicht verzerrt
dargestellt
wird. Im vorliegenden Beispiel ist letzteres der Fall, immerhin
bedeutet couper
l'herbe aux pieds de qqn im Original nicht zwangsläufig das
Sterben,
sondern erlangt diese (interpretatorische) Bedeutung allein durch den
Querbezug
auf das Substantiv faucheuse. Das Original überlässt
dem
französischen Hörer die Schlussfolgerung aus der
Formulierung,
dass der Knicker sterben möge. Auf interpretatorischer
Ebene
wird die Ich-Figur durch die hier angegebene
Übersetzungsmöglichkeit
in ein gewaltig verändertes Licht gerückt. Die Wendung ...dass
der Tod ihn um die Ecke bringt klingt nach Töten (nicht
Sterben)
und schiebt hintergründig die Wertung in die Interpretationsebene,
dass die Ich-Figur beim Sterben am liebsten nachhelfen würde.
Nicht
so im Original, wo die Ich-Figur der Angelegenheit gegenüber ganz
wehrlos dasteht und diesem alten Geizkragen den natürlichen Tod
wünscht.
In allen Chansons von Georges Brassens, auch bei so militanten wie Hécatombe,
steht das menschliche Leben an oberster Stelle; niemand hat das Recht,
es anderen wegzunehmen. Dies ist der anarchistische Ton in Georges
Brassens'
Chansons, die aber die Tötung fremden Lebens niemals
rechtfertigen: Car,
enfin, la camarde est assez vigilante, elle n'a pas besoin qu'on lui
tienne
la faux...
2.9 Aktualisierung des Kontextes Letztere Möglichkeit sei hier der Vollständigkeit halber und nur rein hypothetisch genannt, da sie sehr selten anwendbar und im vorliegenden Falle unmöglich ist. Bei einer solchen Lösung wird die zielsprachige Entsprechung des Originals gewählt, aber nicht die idiomatische Wendung auf den Kontext aktualisiert, sondern der Kontext auf die idiomatische Wendung abgestimmt. Hypothetisch wäre dies im vorliegenden Falle: Dass Fleischer Tod in Bälde demoder: Dass Käpten Tod in Bälde demoder verzwickter: Dass Käpten Tod im Sturmlauf käm',oder ganz verwickelt: Dass Sä'mann Tod als Schnitter käm,
Letzteres, bewusst gefördertes Fehlverständnis
(Sämann-Seemann)
im zusätzlichen Gegensatz-Bezug (Sämann-Schnitter)
überkompliziert
jedoch die wie leichtfüßig hingeworfene Bemerkung des
Originals
und überfrachtet das Ganze.
########################################################################################################## An anderer Stelle jedoch (im Chanson Celui
qui a mal
tourné) habe ich eine Abwandlung, wie hier rein hypothetisch
angegeben, vorgenommen, wobei jedoch die tatsächliche Bedeutung,
die
die jeweilige Textpassage für den Fortlauf der Handlung bzw. den
Gesamtkontext
hat, letztlich entscheidet, ob eine Variierung des Kontextes
möglich
ist. Bei Celui qui a mal tourné erschien eine solche
Abwandlung
möglich, insbesondere da croque-mort ohne stilistisches
Pendant
im Deutschen ist:
Brassens stellt hier einen zusätzlich zum
eigentlichen
Inhalt bestehenden Querbezug zwischen croque-mort und dévorer
qqn des yeux her: croquer (knabbern, anknabbern, schlingen
[=gierig
essen]) und dévorer (verschlingen). Beide Verben
befinden
sich dabei jeweils in Phraseologismen eingebettet, wo die eigentliche
Bedeutung
der Verben nur abgeschwächt ins Bewusstsein des Hörers/Lesers
gelangt. Im Original bedeuten die zwei Zeilen vordergründig:Alle
Leichenträger verschlangen mich schweigsam schon mit den Augen.
Wenn man bedenkt, dass das scherzhafte bis spöttische croque-mort
in der Motivationsbedeutung etwa Leichenfresser bedeutet,
erhält
der heimliche Querbezug einen (wenn auch formalen, auf den Inhalt
keinen
Einfluss ausübenden) Sinn: Die Leichen(an)knabbrer haben mich
alle
schon mit den Augen verschlungen. Im Deutschen wäre ein
vergleichbares
Spiel: Die Leichenbeschauer verschlangen mich bereits mit den Augen.
Nun ist die Leichenschau eine ärztliche Aufgabe, während die
soziale Stellung des (traditionellen) Leichenträgers nicht
sonderlich
hoch war. Auf Grund der allgemein für Georges Brassens typischen
und
hier besonders auffälligen Ausrichtung auf das Altertümliche
findet sich croque-mort hier im Deutschen als Leichenbitter
übersetzt, Leichenbitter als eine Person, der (vor allem
in
ländlichen Gebieten) die Aufgabe übertragen wird, reihum
einen
Todesfall bekanntzugeben und zur Beerdigung einzuladen. Im Deutschen
sieht
sich der Leichenbitter der Wendung jmdn nicht sehr
einladend
ansehen analog gegenübergestellt (über einladen/bitten).
Natürlich bringt ein solches (auf die formal-stilistische Seite
gerichtetes)
Vorgehen gewisse inhaltliche Veränderungen/Verschiebungen mit
sich.
Im Original beschwören die croque-morts silencieux das
Bild
sitzender, reglos wartender Geier herauf und über das Bild der
Geier
die auf einen Todesfall und damit auf einträgliche Einkünfte
lauernden Bestatter (was wieder ein typisch Brassensscher, versteckter
Seitenhieb auf die Kostspieligkeit des Lebens wie des Todes ist). Im
Deutschen
schwebt im Hintergrund das Bild der Leichenbittermiene.
Inhaltlich
erschließen sich daraus zwei Ebenen; eine direkt
interpretatorische
Schlussfolgerung ist: Die Umwelt schaut schief (mit düsterer
Miene)
auf die (herabgekommene) Ich-Figur. Indirekt steht im Hintergrund
jedoch
auch: Beim nächsten Todesfall in der näheren Umgebung wird
die
Ich-Figur (weil von der Umwelt nicht gern gesehen) ausgeladen bleiben,
sodass nicht einmal ein Gratis-Essen (sprich Leichenschmaus) ins Haus
steht;
diese Übersetzungsvariante also mit Querbezug auf das Chanson Les
funérailles d'antan.
########################################################################################################## 2.10 Stilistische Disloziierung (Idiomatisierung neutraler Passagen) Da man davon ausgehen kann, dass bei der Übersetzung stets unweigerliche Verluste auftreten, muss es dem Übersetzer gestattet sein, sich im Deutschen für eine analoge Sprachbehandlung anbietende Phraseologismen an anderer Stelle im Text zu suchen bzw. zuzulassen (Kompensierung stilistischer Verluste). Ein Beispiel aus meiner Übersetzung von Les amoureux des bancs public: N'empêch' que tout' la famill',In meiner deutschen Übertragung: Würd' es die Familie doch,
Das deutsche durch die Bank bringt hier keinerlei
zusätzliche
Bedeutung in den Text. Die deutsche Sprache bietet jedoch einen
Phraseologismus,
der sich nahtlos in den Kontext der Parkbänke einfügt und so
ganz der Brassensschen Verfahrensweise entspricht. (Zur Disloziierung
des
Brassensschen Wort-Enjambements [hier: Toch...ter
und doch] siehe
Punkt 3.3.)
Zurück nach oben 3.1 Zwischensprachliche Assoziationsfelder Die Suche nach stilistisch angemessenen
Übertragungsvarianten lässt
sich wie folgt beschreiben: Ausgehend von der originalen, zu
übersetzenden
Wendung wird ein ganzes Feld lexikalischer Bezugspunkte, eine Kette
sprachlicher
Zusammenhänge wie eine Art Musterfolge gebildet. Die wesentlichen
Komponenten der übertragenen Wendung (sowie ihre Bezugspunkte zum
Kontext, d.h. z.B. steckt in couper auch die zum Wort faucheuse
weisende Komponente faux - Sense) werden ähnlich einem
synonymischen
Feld bei Übersetzung einzelner Begriffe ihrem Pendant bzw. ihren
Pendants
im Deutschen zugeordnet, wonach das lexikalisch-phraseologische Feld
der
gefundenen zielsprachlichen Begriffe "abgegrast" wird.
que (la faucheuse) vienne couper l'herbe aux pieds à(de) (ce grigou)
Diese »Bestandsaufnahme« nimmt indes lediglich bezug auf
normierte
Wendungen (analog Punkt 2.3(a)). Durch das Heranziehen
zusätzlicher,
allein zielsprachiger Assoziationen (was der formale Seite des Textes
entspricht)
erweitert sich das gefundene lexikalisch-assoziative Feld immens. So
zum
Beispiel der Weg von Sense über Garten- und
Ackergeräte
zu Harke, von dort zu jmdm zeigen, was 'ne Harke ist
(was
auch ohne Abänderung zu jmdm zeigen, was 'ne Sense ist als
Übertragung funktionieren könnte:
Dass doch der Sensenmann mit List
Eine phonetisch bedingte Variation wäre: inhaltlich von Fuß
zu Schritt, von dort ins lexikalische Feld zum
phraseologischen,
wenn auch nicht übertragen gebildeten schnellen Schritts,
dann
lautlich von Schritt zu Schnitt :
Dass doch der Sens'mann schnellen Schnitts
Es lassen sich schier unendliche Kombinationsmöglichkeiten
vermuten,
die am Ende den originalen Inhalt mit stilistisch so prägnanten
deutschsprachigen
Elementen ausdrücken, dass die Übersetzung ihrerseits
unübersetzbar
wird. Wenn auch die Unübersetzbarkeit (bzw.
Un-Rückübersetzbarkeit)
der deutschen Variante nicht das Ziel ist, so ist sie eine
zwangsläufige
Eigenschaft der für die Übertragung geeignet befundenen
deutschen
Entsprechung.
Zurück nach oben 3.2 Formal-stilistische Entscheidungsfindung Nachdem nun alle naheliegenden Möglichkeiten zur Übersetzung des Unübersetzbaren (im phraseologisch-idiomatischen Umfeld) abgesteckt wurden, gilt es, eine Entscheidung zu treffen, welche der möglichen Varianten im Zusammenspiel von Form und Inhalt dem Original am besten gerecht wird. In diesem Zusammenhang müssen die interpretatorischen (wie auch stilistischen etc.) Auswirkungen der Übersetzung ausgelotet werden, um nicht (wie z.B. im vorangegangenen Kapitel anhand der Wendung jmdn um die Ecke bringen aufgezeigt) in der Interpretierbarkeit der Wendung eine Verzerrung bzw. übermäßige Abweichung der inhaltlich-interpretatorischen Dimension zuzulassen. Die dem Original am nächsten stehende Variante findet sich im Punkt 4, wo eine analog motivierte deutsche idiomatische Wendung gewählt wird. Die Wendung jmdm den Schneid abkaufen wirkt jedoch im Querbezug Schneid - Schnitter/Sensenmann im Vergleich zum Original (faucheuse - couper l'herbe) etwas spitzfindig-versteckt, sodass sie nicht in die nähere Wahl fällt. Dagegen bietet das Spiel mit der Wendung es ist Sense bessere Einsatzmöglichkeiten. Natürlich kann faucheuse dann nicht mit Sensenmann als eigentlich originalgetreueste Übersetzung wiedergegeben werden (vom normierten Geschlecht des personifizierten Todes hier einmal abgesehen, näheres dazu im Artikel Onkel Archibald und der schöne Tod), sondern entweder mit Tod, welcher spätestens durch das Verb als Personifizierung verstanden wird, oder mit dem altertümlichen Schnitter. Die nunmehr ins Auge gefasste Wendung Dass der Tod binnen kurzer Fristklingt jedoch im Ohr äußerst statisch gegenüber dem weniger feststellenden, sondern kräftig sensenden Original. Etwas besser dagegen erscheint die in Punkt 5 dargestellte Möglichkeit der aufs behandelte Thema abgewandelten idiomatischen Wendung: Dass der Tod binnen kurzer Frist
Während das einfache es ist Sense kaum über die
konkret-inhaltliche
Ebene hinausgeht, gewinnt das letztgenannte Spiel mit der Wendung jmdm
zeigen, was 'ne Harke ist auf interpretatorischer Ebene
zusätzlich
an Bedeutung, weshalb es für die Übersetzung weitaus
interessanter
ist, insbesondere weil diese zusätzliche Bedeutung, welche im
Original
nicht vorhanden ist, sich hintergründig wunderbar in den
Gesamtkontext
einpasst. In der Vorstrophe des Chansons Comme une sœur wurde
der
Rivale als une espèce de mercantil, un vieux maroufle, un
gros
sac d'or, plus vieux qu'Hérode et que Nestor beschrieben,
also
als eine Krämerseele, ein Geldsack, ein genauso steinreicher
wie
steinalter Knochen. Aus der oben erwähnten Variante Der
Tod
zeige ihm, was 'ne Sense ist ergibt sich neben der direkten,
konkret-inhaltlichen
Bedeutung, dass der Tod den Geizhals bald holen solle, in
indirekt-inhaltlicher
Bedeutung jedoch: Der Tod zeige ihm, wie es ist, zupacken zu
müssen,
sein Geld mit praktischer Arbeit verdienen zu müssen (als
hintergründig-spiegelbildlicher
Bezug zum Leben in Reichtum); daraus ergibt sich als komplexe,
abstrakt-inhaltliche
interpretatorische Ableitung: Der Tod mache endlich ein Ende mit
diesem
(in Sachen Reichtum wie Lebensalter) so verwöhnten Geizkragen.
Diese abstrakt-inhaltlichen Konsequenzen machen das Spiel mit der
Wendung jmdm
zeigen, was 'ne Harke ist so interessant für die
Übersetzung,
dass die anderen angedeuteten Varianten dahinter zurückbleiben.
Georges
Brassens ist im allgemeinen nicht so überzeugend durch das formale
Spiel mit übertragenen Wendungen, sondern durch das gedankliche
Spiel,
das sich im interpretatorischen Hintergrund daraus ergibt. Deshalb
bringt
die Wendung jmdm zeigen, was 'ne Sense ist sowohl
formal-stilistisch
als auch hintergründig-inhaltlich zwei wesentliche Besonderheiten
von Georges Brassens' ins Deutsche, obwohl im behandelten Falle das
formal-stilistische
Spiel im Französischen zu keinen analogen abstrakt-inhaltlichen
Wertungen
führt. In diesem Sinne wird an dieser Stelle das Original
interpretatorisch
erweitert, aber dafür Georges Brassens in seinen Besonderheiten
kompensatorisch
übersetzt, d.h. es wird an dieser Stelle die Brassenssche
Besonderheit
des inhaltlich weiterreichenden sprachlichen Spieles wiedergegeben,
welche
an anderer Stelle oft verloren geht. Auf der Suche nach der Wiedergabe
der formalen und stilistischen Besonderheiten des Autors und unter
prophylaktischer
Einrechnung von bei der Übersetzung zwangsläufig eintretenden
Verlusten werden sich ergebende inhaltliche Erweiterungen und
Verschiebungen
akzeptiert, sofern in den konkreten Kontext des Chansons integrierbar
und
sofern mit den Anschauungen des Autors vereinbar.
Zurück nach oben 3.3 Formal-poetische Aspekte in der Entscheidungsfindung Ist die endgültige Entscheidung dann getroffen, welche
inhaltliche
bzw. formal-stilistische Variante für die Übersetzung am
geeignetsten
ist, ist auch die kompositorische bzw. dichterische Einordnung der
gewählten
Variante zu überdenken. Im vorliegenden Beispiel durchzieht der
Reim
das Wort couper, wodurch sich ein Reim auf grigou
ergibt.
Dieses Enjambement durch das Wortinnere ist für Georges Brassens'
Behandlung der Reime typisch, sodass auch eine Wiedergabe dieser
Brassensschen
Eigenheit ins Auge gefasst werden sollte. Während Georges Brassens
in anderen Chansons (Le vin, Le vieux Léon) dem Reim
durchs
Wortinnere eine poetisch-traditionelle Bedeutung (Untergliederung des
klassischen
französischen Alexandriner Verses) sowie zum Teil sogar
inhaltliche
Bedeutung abzuringen weiß (siehe Analyse des Chansons Le vin [PDF-Format]),
erscheint dieser Reim im hier behandelten Chanson nur einmal, genau an
der hier behandelten Stelle. Andererseits habe ich in anderen Chansons,
wie z.B. bei Les amoureux des bancs publics (siehe Beispiel
unter 2.10) oder Le grand Pan, einen gleichermaßen
isoliert
auftretenden Reim in der Übersetzung angewandt, wo im Original
kein
einziger Reim dieser Art auftrat (wieder die kompensatorische
Übertragungsweise).
In diesem Sinne wäre es gerechtfertigt, hier auf einen Reim im
Wortinneren
zu verzichten. Auch könnte man einen analogen Reim in einer
anderen
Strophe verwirklichen, was als eine Kompensation (bzw. Disloziierung
von poetischer Form) innerhalb des gleichen Chansons zu verstehen
wäre.
Dennoch bieten sich im folgenden Möglichkeiten, auch diese
Brassenssche
Besonderheit an gleicher Stelle ins Deutsche zu bringen. Das Wort grigou
kehrt ohnehin nicht als Geizhals/Geizkragen/Knausrer/Knicker
wieder,
sondern einfach als Kerl. Warum also grigou über
das
gemeinsame Dritte (Schimpfwort) nicht unter
konkret-inhaltlicher
Verschiebung auf Mistkerl abwandeln, wenn dies uns gestattet,
Brassens'
poetischem Ansatz nahezukommen (nun im Zusammenhang):
* depuis leurs noces hieß in
meiner ersten
Variante seit jener Hochzeit, was bedeutet, dass eine
normalsprachliche
Formulierung des Französischen im Deutschen als variierter
Phraseologismus
(im Sinne von Punkt 6) wiedergegeben wird, nämlich der (allerdings
nicht bildlich motivierte) Phraseologismus seit jener Zeit in
der
Variation seit jener Hochzeit.
** eine ebensogut singbare und gleichwertige
Zweit- bzw.
Parallelvariante ist folgende: Dass bald der Sensenmann dem Mist //
kerl zeige, was 'ne Harke ist. Hier bleibt das phraseologische
Bild
analog zum Französischen unverändert und ist rein
formal-stilistisch
noch eine Winzigkeit näher am Original. Ich persönlich bin
jedoch
bei der oben angegebenen Variante geblieben, weil das gemeinsame
Auftreten
von Sense und Harke das Ganze bildlich wohl doch ein
wenig
überfrachtet.
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