DER STARKE TOBAK DES MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann |
|
|
La tzigane savait d'avance |
La tzigane savait d'avance Nos DEVIS barrés par les nuits Nous lui dîmes À / AH DIEU et PUIS De ce PUIS sortit l'Espérance |
Damit kommt ein orakelhafter Unterton in die Weissagung der lebenserfahrenen Zigeunerin, denn es schwebt eine zweite Stimme im Hintergrund: |
La tzigane savait d'avance |
Die Zigeunerin wusste im Voraus,
Dass unsere Kostenvoranschläge von den Nächten gestrichen würden Wir sagten ihr »Auf Gott !« und dann Entstieg diesem Dann die Hoffnung… |
Dass im Verb sortit auch noch das Schicksal (sort) durchschwingt, sei als »zu tief in der Sprache verankert« vernachlässigt, trägt aber auch zum Gesamtgestus dieser vier Zeilen bei. Wichtig ist dabei, dass das eine und andere nicht nebeneinander stehen,
sondern ineinander verwoben sind. Die erste Lesart als direkte Bedeutungsebene
ist die von Apollinaire gewählte Schreibweise. Die hintergründige
zweite Stimme ist insofern nicht Bedeutung, sondern Deutung, aber: sprachgebundene
Deutung, also die untere Deutungsebene, die direkt aus der Sprache ableitbare
Deutung -- noch ohne Wertung. Diese führt dann weiter zur eigentlichen,
übergreifenden INTERPRETATION vom Sprachlichen wieder weg zurück
zur Wirklichkeit.
Um beim Beispiel zu bleiben:
DEUTUNG: Das Zusammenlegen von zwei Leben (nos deux vies) hat
etwas von einem gemeinsamen Kostenvoranschlag (nos devis). Gleichzeitig
steht dem innerlich-ideellen Anliegen der Zweisamkeit (deux vies) der
Kostenvoranschlag (devis) als äußerlich-materieller Gegenpol
gegenüber. Der Hoffnungsbrunnen ist identisch mit dem Dann,
d.h. mit der Nachzeitigkeit.
INTERPRETATION: Die zitierte Strophe blickt ernüchtert aus dem
Heute in die Vergangenheit, als dieses Heute noch Zukunft, Erwartung und
zweifelnde Hoffnung war. Eine gute Übersetzung müsste hier sprachliche
Mittel und Wege finden, um hoffnungsvoll-zweifelnde Perspektive und ernüchterte
Retrospektive analog zu verdichten und miteinander zu verquicken.
Apollinaire berichtet von seiner ersten tieferen Begegnung mit der französischen
Sprache. Ayant tout dit, l'orateur se tut. (Als/nachdem er alles gesagt hatte, schwieg der Redner.)verstand Apollinaire im Präsens: Ayant tout dit, l'orateur se tue. (Wenn/nachdem er alles gesagt hat, bringt der Redner sich um.)Auch vom Sinn her war Apollinaire ganz von der Richtigkeit seines Verständnisses überzeugt: Wenn erst einmal alles gesagt ist, hat der Redner seine Existenzberechtigung verloren! Ursache ist der stark homophone und dabei silbige Charakter der französischen Sprache, wo gleiche Laute mit unterschiedlicher Bedeutung sehr häufig auftreten, z.B.: vert – vair – verre – vers (adj.) – vers (subst.) – verwas durch Kombination in lautlichen Ketten ein noch wesentlich komplexeres Bild ergibt: revers, s'avère, sévère .... Ausgenutzt zum Beispiel in folgenden beiden Zeilen des Gedichtes MARIE,
wo Apollinaire als inhaltlich-musikalische Stimme ein ständiges SI (so
bzw. und doch) einlegt:
Les masques sont silencieuxSchön auch die silbigen Anlehnungen: masques – musiques ; silen... – si loin... Und schön auch, wie das einzige stimmhafte si in musique »aus der Reihe tanzt« und den Klang der Musik lautlich unterstreicht... Ein weiteres Beispiel: Das Gedicht ZONE von Apollinaire, erstes Gedicht im Gedichtband ALCOOLS, endet mit dem berühmten Vers: Adieu adieu Erneut erwächst aus der Form Sinn: Durch den Abschied (Fin-de-Siècle),
durch das Lebewohl des wie abgeschlagen anmutenden
Kopfes der ihr Blut rot über den Himmel ergießenden,
noch über den Horizont schauenden Sonne
schimmert eine Begrüßung, ein Hallo,
ein coucou, ein neuer Anfang... Phonetisch-dynamisch
wird erst mit der letzten Silbe pé
eine relative Eindeutigkeit erzielt, bis dahin bleibt die Aussage in der
Schwebe:
A Dieu, à Dieu,Eine mir vor Jahren in einer Zeitung aufgestoßene Ad-hoc-Übertragung gab den letzten Vers strukturell-imitativ wieder mit: Sonne abgeschnittener HalsHier schauen wir auf einen zweiten Wesenszug der französischen Sprache: Im Französischen wird nach hinten intoniert und nach hinten nuanciert, zu sehen an verschiedenen Erscheinungen:
|
Adieu adieu |
Leb wohl, leb wohl, Halsdurchtrennte Sonne! |
Oder eine Zusammensetzung, was dem lockeren Bezug der Apposition noch besser entspräche: |
Adieu adieu |
Leb wohl, leb wohl, Kopf-ab-Sonne! |
Maßstab für eine wirkliche gelungene Übertragung dieser beiden Verse wäre: Blutroter ABSCHIED mit durchschimmernder BEGRÜSSUNG (also erneut eine Verquickung von Gegensätzen). Wenn im LEBEWOHL (adieu) auch noch GOTT durchschimmern würde, wäre eine solche Übertragung wohl perfekt. Deutlicher wird der attributive Charakter der Apposition noch im Gedicht MARIE und hier ist eine Voranstellung so gut wie unverzichtbar, um der deutsche Sprache in ihrem natürlichen Fluss zur Geltung zur verhelfen: |
Sais-je où s'en iront tes cheveux |
Was weiß ich, wohin deine Haare (ver)gehen
Und deine herbstblattgleichen / herbstdurchlaubten Hände... |
2. GEORGES BRASSENS -- Ein Lösungsansatz Kommen wir zu Georges Brassens. Im Gegensatz zu Apollinaire, der sich bewusst war, dass seine Gedichte einem Leser in Schriftform vorliegen würden (bis hin zu den Calligrammen), sind Georges Brassens’ Liedtexte von vornherein an einen Hörer gerichtet (sodass sie beinahe nicht des Aufschreibens bedürfen). Durch die Erfindung von Grammophon und Schallplatte bis zur heutigen CD ist der Tonträger so nachhörbar wie ein Buch nachlesbar.
Ausgewählt habe ich das Chanson COMME UNE SŒUR – unter anderem
auch weil es zu den weniger inhaltsschweren Liedern von Georges Brassens
gehört und uns nicht zu sehr ins Inhaltliche ablenkt. Brassens greift
hier eine volksliedhafte Lyrik auf: das CHANSON DU MAL AIMÉ (das Lied
von unglücklicher Liebe). »Immer das gleiche Lied!« könnte
man meinen. Das stimmt schon! Und doch... Schauen wir uns die ersten vier
Strophen an:
|
COMME UNE SŒUR |
WIE EINE SCHWESTER (Inhaltsangabe) |
Comme une sœur, tête coupée, |
Wie eine Schwester, Kopf abgetrennt,
Sah sie ihrer Puppe ähnlich. Sie ist in den Fluss gekommen, Ihren zarten Fuß ein wenig zu benetzen. |
Par une ruse à ma façon, |
Durch eine List nach meiner Art
Tu ich so, als ob ich ein Fisch wäre. Ich verkleide mich als Pottwal Und lege mich ich auf den Grund des Wassers. |
J’ai le bonheur, grâce à ce biais, |
Ich hab dank dieses Umwegs/Tricks das Glück
Ihr ein Stück Fuß an/wegzuknabbern. Niemals hat ein Hai(fisch), ich bürge dafür, Niemals etwas so Gutes/Schmackhaftes gekostet. |
Ell’ m’a puni de ce culot |
Sie hat mich für diese Dreistigkeit
bestraft, Indem sie mir den Schnabel ins Wasser hielt (indem sie mich am ausgestreckten Arm verhungern ließ) Und ich habe, um ihr Mitleid zu gewinnen, Vortäuschen müssen, dass ich ertrinke. |
Obwohl es im folgenden in erster Linie um die Form gehen soll, sei eine inhaltliche Frage vorausgeschickt: |
Comme une sœur, |
In der ersten Strophe interessant ist das »Auftauchen« des abgeschnittenen Kopfes. Ich erinnere nochmals an die Lautlichkeit und Dynamik der Sprache. Der erste Vers Comme une sœur tête coupée... fällt sozusagen aus dem »Nichts« dem Hörer ins Ohr. Die brutale Assoziation des abgetrennten Kopfes klärt sich im gesamten Chanson nicht mehr auf. Auch die zweite Zeile bringt diesbezüglich keine Besserung. Auf jeden Fall ergibt sich eine begriffliche Reihung: Schwester – Kopf (kopflos) – Puppe; inhaltlich spielt Brassens hier mit der Wendung ressembler comme un frère à qqn (jmdm wie ein Bruder ähneln). Von der Interpretation her ist die erste Strophe mit Blick auf die nachfolgenden Strophen relativ eindeutig: Wie man als Kompliment sagt: »Das soll Ihre Tochter sein? Geben Sie zu, das ist Ihre Schwester...« wird hier dieses Bild der Mutter als Schwester der Tochter auf Mädchen als Schwester der Puppe umgemünzt. Der abgetrennte Kopf könnte insofern darauf schließen lassen, dass die Puppe »ausgedient« hat (hier wäre ein Rückgriff auf die deutsche nicht ganz eindeutige Formulierung ähnlich bis auf den Kopf möglich). Sprachlich gesehen, könnte hier die Wendung donner sa tête à couper (si...) im Hintergrund stehen, also: ich lass mir den Kopf abschlagen, wenn sie und ihre Puppe nicht wie Schwestern aussehen... allerdings abgewandelt als Rückblick auf das Endergebnis: und den Kopf hatte ich dann tatsächlich eingebüßt... |
Wie dem auch sei, als Übersetzer wollen wir uns hier nicht festlegen, um nicht unsere Interpretation in den Vordergrund zu rücken. Behalten wir also den tête coupée im Hinterkopf. Gehen wir erst einmal wieder weg vom Direkt-Inhaltlichen hin zur Form. Metrik und Reim sollen dabei als »übliche« Formelemente weniger interessieren, sondern die für dieses Chanson wesentlichen Formquellen: |
Comme une sœur, tête coupée, |
SPRACHSTRUKTURELLE ANSPIELUNG:
Die erste Strophe endet mit einem pied menu. Das mag in erster Linie sicher als schmaler, feiner Fuß aufzufassen sein, aber über die Reihung PIED MENU -- RUSE -- CROQUER UN BOUT DE PIED kommt hintergründig eine Apposition pied-menu ins Spiel, ein Fuß à la Carte, ein – wenn man die Bedeutung und Deutung zusammennimmt: feines Fußmenü bzw. feiner Menüfuß.Und so erlangt das Wort ruse zu Beginn der zweiten Strophe hintergründig eine zutiefst sprachsystematische Bedeutung. Tremper dans la rivière in der erste Strophe spielt auf die Wendung tremper dans une affaire (in eine Sache verwickelt sein, bei etwas „mitmischen“) an. Erst die letzten vier Silben machen tremper transitiv und heben diese Zweideutigkeit auf. PHONETISCHE ANSPIELUNGEN: POLYSEME ANSPIELUNG |
Ich muss an dieser Stelle betonen, dass es mir hier ausschließlich um das geht, was im Text »mitschwingt«, also um das, was über die eigentlich inhaltliche Komponente hinausgeht: um die direkt-sprachlich gebundene Deutungsebene. Wichtig ist noch einmal das Primat der gesprochenen Sprache. Diese ist zeitlich-dynamisch gegenüber der räumlich-statischen Beschaffenheit der geschriebenen Sprache. Wenn in der Lyrik ein Satz erst mit dem letzten Wort eine inhaltliche Auflösung bringt, sind alle zuvor ausgelösten potenziellen Bedeutungen fester Bestandteil der Aussage, weil bei jedem neuen mündlichen Veräußern der Satz immer wieder in der Schwebe bleibt, solange er nicht beendet ist. Eine weitere für Brassens typische formal-inhaltliche Verwendung sei hier noch erwähnt: |
Ell’ m’a puni de ce culot |
MOTIVATIONSBEDEUTUNG ALS FORMKOMPONENTE Tenir le bec dans l’eau als übertragene Wendung (jemanden auf Abstand halten, sich vom Leibe halten, am ausgestreckten Arm verhungern lassen) bringt ein ganz besonderes Formproblem: Bei phraseologischen Wendungen ist die so genannte aktuelle Bedeutung (inhaltliche Bedeutung) nicht gleich der Summe der der durch die Einzelwörter konkret ausgedrückten Inhalte (Motivationsbedeutung). Brassens verwendet die Wendung inhaltlich (sie hielt mich auf Abstand), führt aber die erzählte Begebenheit mit der Motivationsbedeutung (also der FORM!) weiter. |
Vor Eingehen auf den Übersetzungsprozess, hier kurz ein Resümee
der Ansprüche: |
COMME UNE SŒUR |
MIT IHREM KURZEN KNAPPEN HAAR |
Comme une sœur, tête coupée, |
Mit ihrem kurzen knappen Haar (Knappenhaar)
Sie ihrer Puppe ähnlich war. Sie wagte mit dem schmalen Fuß Vom Ufer den Schritt in den Fluss. |
Par une ruse à ma façon, |
So listenreich, wie ich halt bin,
(Solist ???) Schleich ich als Fisch zum Wasser hin, Hab mich als Pottwal ausgestreckt Und auf des Flusses Grund versteckt. |
J’ai le bonheur, grâce à ce biais, |
Durch diesen Trick hab ich das Glück
Und nasch vom Fuß ein feines Stück. So einen guten Bissen hat Fürwahr kein Haifisch je gehabt. |
Ell’ m’a puni de ce culot |
Zur Strafe für den frechen Spaß,
Tunkt sie den Schnabel mir ins Nass. Und ich seh zu, dass ich ertrink, Damit ich ihr Mitleid erring. |
Diese erste Übertragung bleibt oberflächlich relativ nah am Text, auch die poetische Form der Strophen- und Reimstruktur ist gewahrt... und doch ist ganz stark zu empfinden, dass hier etwas fehlt – nämlich all diese im Zuge der Formulierung aufkeimenden und wieder untergehenden Andeutungen und Anspielungen. Die deutbare Apposition pied-menu hat keinerlei formal-stilistisches Pendant im Deutschen, dadurch wird die ruse, die List am Anfang der zweiten Strophe, zu einem sprachlich belanglosen Blabla, denn im Deutschen ist sprachlich hier keine List vorhanden. Auch die Wendung tenir le bec dans l’eau ist nur eindimensional oberflächlich wiedergegeben. Kurzum: Das Chanson war wohl übersetzt, aber es fehlt genau das, was Brassens auszeichnet: der »hinter den Wörtern« schwingende Wortwitz, diese »heimlichen« Bezüge zwischen den Wörtern... Mit dem »kurzen Knappenhaar« im ersten Vers war das Gewünschte zwar im Ansatz vorhanden, aber ohne inhaltliche Bezugnahme zum Original, denn die deutsche Übersetzung bringt hier in Abweichung vom Französischen das Bild eines Knaben ins Spiel. Und schlimmer noch: Der erste Vers der zweiten Strophe lässt in so listenreich das Wort Solisten anklingen. Diese Anspielung ist völlig ohne Sinn und verkehrt sogar den stilistisch-poetischen Ansatz von Georges Brassens in sein Gegenteil. Fast wäre mir hier ungewollt eine Persiflage gelungen... Da der gezeigte direkte Weg im Ergebnis unbefriedigend war, begann ich nach anderen Wegen zu suchen bzw., um der Wahrheit ihr Recht zu geben, war es weniger eine Suche, sondern ich begann Umwege, ja auch Abwege zuzulassen.
Dazu muss ich jetzt unbedingt der bislang gezeigten GEDICHTFORM die
konkrete LIEDFORM an die Seite stellen: Brassens hat eine kunstvolle Art
der Dopplung von Halbversen einkomponiert und zwar je Strophe für die
erste, zweite und vierte Zeile. Diese Echo-Struktur habe ich mir im Deutschen
zunutze gemacht, um aus dieser strukturellen Besonderheit phonetische Anspielungen
zuzulassen.
|
COMME UNE SŒUR |
SO ALS OB |
Comme une sœur, tête coupée |
So als ob sie – Kopf hin, Kopf her –
Kopf hin, Kopf her Die Schwester ihrer Puppe wär’, ’rer Puppe wär Tunkte sie ihren zarten Fuß Ein ganz klein wenig in den Fluss. ’nig in den Fluss |
Par une ruse à ma façon, |
Durch eine List nach meinem Sinn
Nach meinem Sinn Schleich ich als Fisch zum Wasser hin, Zum Wasser hin Streck mich am Grund aus wie ein Wels Und laure reglos wie ein Fels. Los wie ein Fels |
J’ai le bonheur, grâce à ce biais, |
Durch diesen Trick hab ich das Glück
Hab ich das Glück Und nasch vom Fuß ein feines Stück. Ein feines Stück So einen guten Bissen hat, Mein Wort, kein Haifisch je gehappt! Fisch je gehappt |
Ell’ m’a puni de ce culot |
Zur Strafe für den alten Zopf
Den alten Zopf Wäscht sie mir gehörig den Kopf. Hörig den Kopf Und ich muss tun, dass ich ertrink’, Damit ihr Mitleid ich erring'. Leid ich erring’ |
Ein paar Anmerkungen dazu: 1. Strophe:
Einmal eingeführt, wird dieses inhaltliche Spiel mit der viersilbigen
Dopplung in den Folgestrophen zum System erhoben: und die Deutungsebene kann
über diesen strukturellen Umweg mit phonetisch-inhaltlichen Anspielungen
und Andeutungen gefüllt werden; die Übertragung erhält Dimension.
2. Strophe:
3. Strophe:
4. Strophe:
Ich will nicht weiter ins Detail gehen, nur noch eines: Eine Sache
lag mir noch irgendwie auf der Seele: der abgeschnittene
Kopf des ersten Verses, der im Französischen so in Ohr und
Auge springt und mir irgendwie im Deutschen noch fehlte, nicht mal im Sinne
von Bedeutung oder Inhalt, sondern als repère, als jalon,
als bildlich-gedanklicher Fixpunkt. Bis sich eine Lösung bot.
Die in den ersten Strophen erzählte Liebesgeschichte wandelt sich,
wie so oft bei Brassens, ins Soziale. Die natürlich-gleichberechtigte,
»innige« (von innen heraus gefühlte) Liebe erfährt
im Äußerlich-Sozialen den Makel einer gesellschaftlich-materiell
»unehrbaren« Sache:
|
Chez ses parents, le lendemain, |
Bei ihren Eltern am darauffolgenden Tage/anderntags
Bat ich hineilend/eiligst um ihre Hand, Aber da ich nichts in der Meinen hatte, Schrie man mich an: »Scher dich weg!« |
In meiner ersten Übersetzung wollte ich die Formulierung dans la mienne erhalten, die mir stilistisch erhaltenswürdig erschien: |
Chez ses parents, le lendemain, |
Als ich vor ihren Eltern stand,
Ihr’n Eltern stand Bat ich tags drauf um ihre Hand, Um ihre Hand Doch man schrie, denn meine war leer, Dass ich mich weg zum Teufel scher’. Zum Teufel scher. |
Strukturell-inhaltlich erhaltenswürdig war jedoch natürlich auch der zweisilbige Ausruf: « va-t’en ! » – »Scher dich weg! Hau ab!« am Ende der Strophe, so kurz und bündig, eigentlich dem herben Deutschen so angemessen. So war der Weg nicht weit zur letztlichen Lösung: |
Chez ses parents, le lendemain, |
Als ich vor ihren Eltern stand,
Ihr’n Eltern stand Bat ich tags drauf um ihre Hand, Um ihre Hand Doch man warf mir, denn ich war knapp Bei Kasse, an den Kopf: »Hau ab!« Den Kopf: „Hau ab!“ |
Durch das Echo in dieser Strophe, der ersten »sozialen« Strophe -- Den Kopf hau ab -- wird der abgeschlagene Kopf assoziativer Bestandteil auch der deutschen Übertragung, ohne in die Bedeutungsebene vorzudringen, was in Anbetracht der Umverlagerung wohl auch ratsam ist. Dass sich diese Anspielung zudem nahtlos in die Abfolge der Geschichte eingefügt, sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt. Hier erhellt sich aus der Übertragung wohl auch der tête coupée der ersten französischen Strophe: Der abgeschnittene Kopf ist auch im Original in der Deutung viel fassbarer als in der eigentlichen Bedeutung. Ganz zum Schluss sei noch auf den Titel eingegangen. Die Frage der Titelgebung ist generell nicht unter Wert zu schlagen, auch wenn der Titel eher Beiwerk ist, aber Beiwerk im Sinne eines i-Tüpfelchens. Nun steht also dem französischen Titel Comme une sœur der auf den ersten Blick vielleicht
befremdlich anmutende deutsche Titel So als ob
gegenüber. Da Brassens hier die ersten vier Silben des Liedtextes
aufgreift, habe ich das Gleiche getan bzw. mich dann entsprechend dem deutschen
Text auf drei Silben reduziert. Ohne dies im Einzelnen so geplant zu haben,
ist der deutsche Titel SOWOHL aus dem Französischen ALS AUCH aus dem
Deutschen heraus vollkommen sinnbildlich. Er greift die französischen
Wendungen je fais semblant (d’être un poisson)
aus der zweiten Strophe und faire mine (de me noyer)
aus der vierten Strophe heraus und resümiert außerordentlich
passend den im Deutschen zum System erhobenen inhaltlichen Wandel, den eine
Reihe von Versen aus der Halbversdopplung erfahren.
3. SCHLUSSBEMERKUNG Der gezeigte Lösungsansatz bietet mit Sicherheit kein generelles
Rezept für die Lyrikübertragung. In dieser Deutlichkeit hat er
sich nicht einmal im Rahmen von Brassens noch einmal angeboten (im Ansatz
nur bei Les 4 bacheliers und Au bois de mon cœur). Es bleibt also genug Raum
für ganz verschiedene kreative Herangehensweisen und das ist beruhigend.
Allerdings sollte damit gezeigt werden, dass eigentliches Übersetzen
als INHALTLICHE WIEDERGABE und adaptives Übertragen als DICHTERISCHE
FREIHEIT sich nicht ausschließen müssen. Im Idealfall steht eine
gelungene Übersetzung inhaltlich stellvertretend für ein fremdsprachiges
Original und als Übertragung sprachlich eigenständig für
sich selber. Im Idealfall treten nur inhaltliche Abweichungen auf, die sich
auf einen formbezogenen Sinn zurückführen lassen, so wie im gezeigten
Beispiel POTTWAL (cachalot) durch WELS (silure, poisson-chat) ersetzt wird, was
unmotiviert erscheinen mag, sich aber erhellt, wenn man davon ausgeht, dass
mittels Reimbezug der Verlust der phonetischen Anspielung cache-à-l’eau durch die strukturelle Anspielung
(reg-)los wie ein Fels kompensiert wurde.
Ganz salopp ausgedrückt: Wenn im Original außerhalb der Bedeutung
ETWAS mitschwingt, sollte auch in der Übertragung ETWAS mitschwingen.
Was dann konkret mitschwingt, das muss man wohl vertrauensvoll dem sprachlichen
Zufall überlassen; das entscheidet die Sprache, in die übersetzt
wird, und ist allein an der von der originalen Sprache losgelösten,
abstrakten Interpretierbarkeit des Originals zu messen.
Nachsatz zur gestellten Frage: Besteht nicht die Gefahr, dass man überinterpretiert? Ich verweise noch einmal auf die Unterscheidung
zwischen DEUTUNG (sprachlich gebunden) und INTERPRETATION (realitätsgebunden).
Der Übersetzer muss auf jeden Fall sprachlich deuten -- das ist
die handwerkliche Seite und genau darauf hat sich mein Vortrag bezogen. Dennoch
kommt der Übersetzer nicht ohne Interpretation aus (so musste ich auch
in diesem Vortrag dies an zwei Stellen tun). Die Gefahr besteht nicht darin,
dass man überinterpretiert, sondern wohl eher darin, dass man
durch Nicht-Interpretation letztlich de
fakto einseitig interpretiert, das heißt die originale Mehrdeutigkeit
zur Eindeutigkeit glättet. Ein Gedicht arbeitet im Gegensatz zu technischen
und auf das rationale Verständnis zielenden Texten mit den potenziellen
Bedeutungen (= Deutungen, Andeutungen, Mehrdeutigkeit) denn mit den aktuellen
Bedeutungen (= Eindeutigkeit). Es besteht somit eher die Gefahr, dass man
"zu kurz greift", also unterinterpretiert...
|
Homepage © 2000-2011 Ralf Tauchmann | Inhalt und Gestaltung: Ralf Tauchmann |