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SPRACHE
& STRUKTUR
IN DEN CHANSONS VON GEORGES BRASSENS INHALTSVERZEICHNIS
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Sechs Strophen zu je acht Zeilen (Achtsilbern/Vierhebern). Reimstruktur: AbAbCdC'd' (Großbuchstabe weiblicher Reim, Kleinbuchstabe männlicher Reim). Jede Strophe zerfällt in zwei vierzeilige Teile, der jeweils zweite Teil wird stets mit den gleichen Reimen verwirklicht, wobei die letzten zwei Zeilen , die (fast) wortgleich wiederholt werden, den Refrain bilden (C', d'). Je nach Strophenkontext sind sie variiert als Moi, mon colon... oder Mais, mon colon... eingeleitet und diese erste (eigentlich unbetonte) Silbe bildet im Grunde ein Zwitterglied von Strophe und Refrain. Der letzte Refrain erfährt am Ende eine abgesangartige Änderung zu que j'voudrais faire anstelle von que je préfère. Wie in allen seinen Liedern betrachtet Brassens den
behandelten Gegenstand aus der Eigensicht (analog dazu auch das
späte Chanson »Les patriotes«). Während
dieser lyrische Ich-Ansatz in Le
vin z.B. die Gesellschaft aus den und durch die Augen des
Alkoholikers
spiegelt (on conte que j'eus La tétée du jus
D'octobre..., ces gens plus ou Moins louches [vin louche])
und die Ich-Figur unter Bezugnahme auf das gesellschaftliche Ansehen
erhöht, erlangt
die Anklage des Krieges hier zwangsläufig die Gestalt eines
Lobgesanges
auf den Krieg und erniedrigt den Säbelrassler in seiner
gesellschaftlichen Stellung. Brassens' Chansons sind damit auch immer
sprachlich-stilistische Beobachtungen. Der militante Kriegstreiber
braucht jedoch keine auswertende Draufsicht, er entlarvt sich selbst in
seiner Sprache (langage ),
z.B. à cœur-joie, guerre favorite, nobles guerres, faits
d'armes
légendaires, un vrai délice!... wie auch in seinem
Anteil
am Allgemeinwortschatz der Sprache insgesamt (langue), z.B. coup
d'épée dans l'eau, ne pas tirer sa poudre aux moineaux.
Das gestattet Brassens eine äußerlich, d.h. scheinbar
wertungsfreie
Darstellung. Der Zuhörer muss, wie bei allen Chansons, allein
»Stellung
beziehen«.
Ein zweiter Punkt ist die familiäre Sprache, dies jedoch weniger in bezug auf moi, mon colon!, sondern in bezug auf die Bezeichnung der Kriege, welche beim »Spitznamen« genannt werden. Das Chanson enthält keine Jahrhundertsangaben, sondern die Ich-Figur spricht vom Krieg Vierzehn Achtzehn, von Siebzig-einundsiebzig (soixante-dix). Ebenso prägnant sind die guerriers de Sparte und die grognards de Bonaparte. Hieraus erklärt sich schließlich die Wendung qui n'osent pas dire leur nom (namentlich ungenannt bleiben, ferner liefen...) Ein dritter Punkt ist die offizielle Sprache der (hier: militärischen, höheren) Schule und Erziehung (satisfécit, premier accessit, mérite...), ein Thema, das Brassens am Herzen liegt (z.B. Brave Margot - »le maîtr' d'école et ses potaches«, »Margot qui était simple et très sage« oder Je suis un voyou - »C'était une fille sage...« oder auch insgesamt in Il suffit de passer le pont). Die wichtigste Deutung besteht (analog zu allen anderen
Chansons) in der Trennung zwischen der Ich-Figur und Brassens als
Vortragenden selbst. Kaum ein anderes Brassenssches Chanson macht
Brassens' Stilistik so deutlich wie dieses. Brassens bleibt erkennbar
in seiner genau entgegengesetzten
Sicht des Veräußerten, hier (lässt man Ich-Figur und
Brassens
wieder verschmelzen) als eine Art Schwejk des Chansons (wie gern
hätte
ich, auch in Anbetracht der phonetischen Reihung hinführend zum
Reimwort Krieg, übersetzt:...was Schwejk verschwieg...;
in meiner
ersten Variante hatte ich moi, mon colon! noch mit dem
Schwejkschen Herr Oberlejtnant bzw. alternativ Melde
gehorsamst! wiederzugeben
versucht!). Der erste Weltkrieg wird hier als (vorläufiger)
»Höhepunkt« der von Kriegen ge(kenn)zeichneten
menschlichen Geschichte ins Feld gerückt. Brassens begnügt
sich nicht mit der eingangs heraufbeschworenen Geschichtsschreibung (l'homme
écrit l'Histoire) als nüchterne Aufzählung und
objektive Abfolge von Kriegen, sondern bezieht sich vor allem auf den
seelischen Gehalt (l'homme ist als Mensch erst einmal
ein
fühlendes Wesen), wie durch die Anspielung auf die mille et
une guerres
notoires (im indirekt veräußerten
gefühlsinhaltlichen
Gegensatz zu den Märchen aus Tausendundeiner Nacht) und
auf die
Trojanischen Kriege aus der Ilias (Iliade) Homers (im direkt
veräußerten gefühlsinhaltlichen Gegensatz zum alten /
veralteten [vieil]
Homer - à l'encontre...), gewandt gegen die
Glorifizierung
und Heroisierung von Kriegs- und Heldentaten. In Moi, mon colon!
leuchtet
schließlich Brassens deutlicher durch die im Ich
geführte
(in gewissem Sinne absurde) Argumentation. In der
»Aufzählung«
folgen schließlich die edlen (Adels-)Kriege, der Krieg
Siebzig/Einundsiebzig,
dann die legendären Waffengänge der Krieger Spartas
und
der Mannen Bonapartes, daraufhin der Vierziger Krieg,
gefolgt
von den (auf eigenen Wunsch namentlich ungenannt bleibenden) Kleinkriegen
(Guerilla). Es wäre unangemessen, hier eine inhaltliche Analyse
der
Kriegsgründe im Wandel und Werden der Menschheit zu vermuten oder
herauslesen
zu wollen (so wie Les deux oncles aus diesem abwegigen
Herangehen
für Animositäten sorgte), denn wir haben es hier mit einem
Chanson
zu tun und müssen von seelischen Inhalten ausgehen. Und diese
erwachsen
aus verschiedenen sprachlich-stilistischen Quellen, zum einen aus
absurden
Kopplungen (absurd hier als künstlerisches Mittel
verstanden): batailler à cœur-joie, mille et un' guerres
notoires (Anspielung
auf die märchenhaften, teilweise erotischen Geschichten aus
Tausendundeine
Nacht, viel deutlicher erscheint dieser Widersatz Krieg-Liebe in Les
patriotes), si j'étais t'nu de faire un choix (die Qual
der Wahl
verkörpert vom Chansonansatz her das Absurde), cell' que
j'préfère,
nobles guerres de jadis (indirekte Anspielung auf Villon), guerre
favorite... Eine andere Quelle ist die recht bittere Ironie aus dem
Gebrauch
militärmotivierter gemeinsprachlicher (auch wenn teilweise
veralteter)
Wendungen wie coup d'épée dans l'eau, ne pas tirer sa
poudre
aux moineaux bzw. aus Zwist und Unstimmigkeit motivierten
Wendungen
wie je ne crache pas dessus, chercher noise, gepaart mit der
sprachlich
fixierten Ironie der militärstämmigen Wendung moi, mon
colon!
und der dem Kontext erwachsenden Ironie des Wortes impression
(Eindruck)
der letzten Strophe.
Brassens malt hier eine Figur, einen Menschen, für den Krieg und Lust zusammenpassen -- und das quer hinweg über Zeit und Raum. Meine Interpretation reicht nicht so weit, dass Brassens den Menschen an sich als kriegslüsternes Wesen darstellt. Dagegen spricht schon der Umstand, dass das Chanson trotz sprachlich-äußerlicher Verherrlichung des Krieges als Anklage gegen den Krieg verstanden wird. Beschränken wir uns hier auf die Feststellung, dass La guerre de 14-18 sprachlichen Genuss und inhaltliches Unbehagen miteinander verknüpft. |
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Traditionelle Struktur mit Wechsel von Strophe und Refrain. Strophen mit acht Achtsilbern/Vierhebern im Kreuzreim AbAbCbCb (Großbuchstabe: weiblicher Reim, Kleinbuchstabe: männlicher Reim) und Refrain im Reimschema bbDbbD'/b (D' steht für den männlich gesungenen „versteckten" weiblichen Binnenreim chang' als Reim auf ange in der sechsten Zeile). Der Reim b (phonetisch [i] wie in paradis bzw. halbkonsonantisch erweitert [yi] wie in pluie) durchzieht das gesamte Chanson als einziger männlicher Reim (wenn man die ursprünglich weiblich betrachteten Reime pluie und folie als phonetisch männlich geltend lässt). Die Refrainmelodie komprimiert/elidiert den Achtsilber Un petit coin de parapluie - in vollendeter Übereinstimmung mit den Gegebenheiten der französischen Sprache - zum Sechssilber Un p'tit coin d'parapluie. |
Un p'tit coin d'parapluie
Contre un coin d'paradis, Elle avait quelque chos' d'un ange. Un p'tit coin d'paradis Contre un coin d'parapluie, Je n'perdais pas au chang' - pardi! |
Sechssilber männlich Sechssilber männlich Achtsilber weiblich Sechssilber männlich (Austausch parapluie Sechssilber männlich und paradis) Achtsilber männlich (angedeuteter Sechssilber weiblich [ange - change]) |
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