DER STARKE TOBAK DES MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann |
LA MARGUERITE
INHALTSVERZEICHNIS |
RELIGION | NATUR/LIEBE | NICHTIGKEIT | WICHTIGKEIT/SKANDAL |
abbé
bréviaire autel (sacro-)sainte couvent Père cieux cure (indir.) nonnette cornette sabbat diantre (indir.) avé calvaire ciel missel messe prie prêtre Marie |
marguerite
pétale pâquerette plate-bande marguerite |
petite
frivole légère (peuchère)* admise petite * association: peu chère |
singulière
scandale indiscrète émoi affaire contrebande murmures malicieux traître soupçonne mais |
Hauptthema: Religion - Kloster - Kasteiung/Zölibat -
Ordensregel/Sittenstrenge
Das Chanson mag verdeckt ironisch sein (enceinte sacro-sainte,
quelle affaire!, Notre Père qui j'espère..., sachez
diantre!),
aber das religiöse Umfeld wird direkt-sprachlich ohne Hohn
dargestellt,
auch ist der Einschub ins Vaterunser (Notre Père qui,
j'espère,
êtes aux cieux) als allgemeines Hoffen auf göttliche
Erlösung
deutbar. Dass eine kleine unscheinbare Blume (petite marguerite,
fleur
frivole/légère) im Bereich des Klosters um die
Osterzeit
ausreichend Anlass zu Aufregung, Gemütsbewegung und Spekulationen
(scandale...
sur l'autel, quel émoi!, quelle affaire!) bietet, hat die
Ursache
nicht in der Blume, sondern in der naturabgewandten, wenn nicht
naturverleugnenden
Kasteiung. Die Natur bricht sich Bahn in Form eines
Gänseblümchens,
welches -- als fliegende (qui vole) »kleine
Schwester«
der großen Liebesblume Margerite -- vom Wind getragen (qui
vole)
heimlich (en contrebande) in die gottzugewandten
Klosterbereiche
getragen wird, und zwar aus den klostereigenen Beeten. In der
Kloster-Umgebung
des Abtes erhebt sich: Bewegung/ Erregung/Gefühlswallung
(émoi)
und großes Aufheben (scandale, affaire). Andererseits
scheint
die »Gänseblumenaffäre« von Frauenmund
verkündet
zu werden. P. Wierichs gründet dies in seiner Dissertation [1975
- Westfälische Wilhelms-Universität - Philosophische
Fakultät
- Münster] (in Anlehnung an Nebenliteratur) darauf, dass
der
ironische und ablehnend-anziehende Ausruf peuchère! von
Frau
zu Frau gehe. Der Ausdruck oui, ma chère lässt
gleichfalls
darauf schließen, obwohl es sich hier wohl um eine verkürzte
übertragene Wendung handelt, wie im Nouveau Petit Robert
ausgeführt:
»avec une pointe de préciosité. Cher !
Très
cher ! Oui, ma chère!«
Der Schlüssel zur Deutung ist Strophe 2. Das Ich dieser Strophe ist nicht gleich dem Ich der 3. bis letzten Strophe. Strophe 2 charakterisiert in wörtlicher Rede die bösen Zungen (mit ihren messes basses) : La frivole fleur qui vole arrive en contrebande... Strophe 3 leitet unter Berufung auf die Güte Gottes die Gegenrede ein und »stellt klar«: La légère fleur, peuchère, ne vient pas de nonnettes, de cornettes... Die nonnettes und cornettes haben zwei Hauptdeutungen. 1. Die klösterlich einzig vorstellbare Weiblichkeit ist die von Nonnen. 2. »Ausrutscher« des anscheinend mehr wissenden Ich-Erzählers -- es ist an der Geschichte wohl doch mehr dran als hier abgewiegelt wird. Weiterhin interessant ist die Begriffsstreuung des Sabbat -- Die Blume/Blüte kommt (rührt) nicht von Nönnchen/Flügelhäubchen am Sabbat (her) -- Jungnonnen welche vom Wochenwerk, d.h. im vorliegenden Falle: Gotteswerk ausruhen. Das Ausruhen vom Gotteswerk schlägt den Bogen auf die schwarzen Messen, Teufels- und Hexensabatte, verstärkt durch die Heraufbeschwörung eines Meeres von cornettes (Flügelhäubchen, wörtl.: Hörnchen). Die Nonnenhäubchen selbst werden zum Symbol der »Teufelsanbetung«. Erst Strophe 4 beendet diese kurze und äußest vage Andeutung von Teufelswerk: Sachez, dia...ntre!..., und der Fluch diantre (verschleierte Form von diable) versinnbildlicht sprachlich diese Abrückung vom Teuflischen/Verteufelnden. Nicht beim Ausruhen vom Gotteswerk, sondern bei Erfüllung seiner gottesdienstlichen Pflicht kam der Abt an die Blume! Die Tagesordnung im Kloster (sei es das Mönchs- oder Nonnenkloster) wird wieder hergestellt, indem berichtet wird, wie der Abt die Blume »auf einem Leidensweg« (dem Jesu Christi? seinem eigenen? dem eines Mitbruders?) fand, und den bösen Zungen das weitere Tuscheln untersagt wird... da wohl sonst das Kloster und die Ordenschaften bzw. der Klerus insgesamt (l'autel) gefährdet würden. Die (nicht nur!) altertümliche Sprache von Georges Brassens darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Chanson im 20. Jahrhundert geschrieben wurde und sich an heutige Zuhörer richtet. Es behandelt das katholische Zölibat. Und das Thema wird sprachlich und gestisch aus dem eigenen religiösen Umfeld heraus behandelt -- ohne vordergründigen außenstehenden Hohn und Spott. Wie typisch für die Poesie von Georges Brassens, wird der Gegenstand von innen heraus abgehandelt: mit greifbaren, äußerst präzisen Bildern und ohne einen gottgleich über dem Dargestellten schwebenden Erzähler. Natürlich hat Georges Brassens hinter der Ich-Figur sprachlich und gestisch alles geordnet, aber er wirft eine Frage auf, stellt eine Konstellation dar, ohne sie zu beantworten. P. Wierichs verweigert in seiner Dissertation auffallenderweise die Interpretation des Vaterunser-Einschubs: Notre Père qui, j'espère, êtes aux cieux... unter Verweis auf die strikten Formzwänge der kurzzeiligen Struktur. Da das Chanson durchweg die gleiche Formstrenge aufweist, dürfte dann überhaupt nichts gedeutet werden. Ursprung dieser Verweigerung Wierichs ist wohl der generelle Umstand, dass Brassens meist über Gebühr mit den Ich-Figuren seiner Chansons identifiziert wird. Zweiter Ursprung scheint zu sein, dass die aufdrängende Interpretation (Brassens sei religiös) sich nicht in den Grundtenor der Dissertation einfügt. Dabei widerspricht dieses Hoff-Ich-Vaterunser in keiner Weise dem künstlerischen Gestus von Georges Brassens. Brassens behandelt keines seiner Themen aus einer überschwebenden Fernsicht. Meine felsenfeste Deutung ist: Der Erzähler des Chansons (ab der 3. Strophe!) ist Teil der Klosterwelt (und kann in keiner Weise mit Brassens identifiziert werden, außer dass er wohl männlich ist). Dans l'enceinte sacro-sainte... ist kein Blick von außen ins Kloster, sondern ein Blick von innen an die Klostermauern. Notre Père qui, j'espère... bedeutet nicht nur Hoffnung, dass es Gott gibt, sondern birgt genauso die Hoffnung, dass Gott nicht mit ansehen muss, wie seine ihm geweihten Klosterdiener sich nur wegen des Anblicks einer unscheinbaren, eitlen (frivole, légère) Blume betragen, und zum dritten schwingt ganz im Hintergrund, und genau das ist Brassens' Ironie: Falls etwas an der Sache sein sollte, hoffentlich ist Gott im Himmel (und nicht auf Erden!), sodass er nichts gesehen hat und nichts davon weiß (sachez). Das wird bekräftigt durch die drei Folgezeilen: n'ayez cure des murmures malicieux... -- Sorg dich nicht um das boshafte Gemurmel... In jedem Falle wird durch den Einschub j'espère Zweifel, wenn auch nur äußerst leiser Zweifel, an der Allmacht Gottes »laut«; und Brassens stellt durch die »Dreifaltigkeit« seines Sprachgebrauchs an dieser Stelle Hoffnung und Zweifel in einen sehr wohl berechtigten Zusammenhang. Wenn auch in der letzten Strophe an die Umwelt appelliert wird, nicht weiter einen solchen Verdacht angesichts der kleinen Margerite zu hegen, endet der letzte Vers des Chansons, der den Charakter eines Ausrufes trägt, mit dem Wort mais, welches in erster Linie als Ausruf der Bestätigung aufzufassen sein mag, aber dennoch als letztes Wort des Chansons im Raum steht und ein zweifelndes Aber aufwirft, wie vage dies auch anklingt... |
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