DER  STARKE TOBAK  DES  MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann


LA MARGUERITE
 
La petite
Marguerite
Est tombée,
Singulière!,
Du bréviaire
De l'abbé.
Trois pétales
De scandale
Sur l'autel;
Indiscrète
Pâquerette,
D'où vient-ell'?...

© 1966 Éd. Mus. 57

Diese stumme
Gänseblume
Fiel dem Abt
Ungebunden
Aus dem Stunden-
buch herab.
Wie nur kommen
Die unfrommen
Lockren drei
Blütenblätter
Durch den Lettner
Der Abtei?...

(deutsch: Ralf Tauchmann)


  Die Gänseblume  (MP3:353 kB)

INHALTSVERZEICHNIS

   


LA MARGUERITE
Die Margerite - auch Wucherblume, Wucherchrysantheme ... -- symbolische Blume für den Liebesabzählreim: elle (il) m'aime - un peu - beaucoup - (passionément - à la folie) - pas du tout; im Deutschen: sie liebt mich, sie liebt mich nicht, ein wenig, von Herzen, mit Schmerzen; auch: verliebt - verlobt - verheiratet - geschieden (alter Name im Deutschen daran angelehnt: Maßliebchen). Bei Brassens häufig wiederkehrendes Bild für den unveredelten, wild wuchernden natürlichen Trieb, insbesondere Liebestrieb, im Menschen (wobei bei Brassens die Blumenblätter stets von beiden Liebenden gemeinsam gezupft werden: also ein bei Brassens bis hin zum eigentlichen Geschlechtsakt reichendes Bild...)

La petite
Marguerite
Est tombée,
Singulière,
Du bréviaire
De l'abbé.
Trois pétales
De scandale
Sur l'autel,
Indiscrète
Pâquerette,
D'où vient-elle?
petite marguerite -- Gänseblume, Maßliebchen -- Verkleinerungsform mit leichter Ironie (sowohl in Bezug auf Bedeutung/Tragweite der Liebschaft eines Klosterabtes als auch auf die Unangemessenheit der bösen Gerüchte angesichts der dem Abt aus dem Brevier [Stundenbuch] fallenden winzigen Blume). trois pétales de scandale -- drei skandalöse Blütenblätter : die Zahl drei -- zum einen weltlich-magische Zahl, zum anderen dreifaltige Zahl -- birgt auch Ironie: das Ende des Abzählreims (sie liebt mich, liebt mich nicht etc...) ist bei den letzten drei Blättern leicht vorhersagbar, auch ohne sie zu zupfen [abstrakt: es ist für den Abt nur zu deutlich, worauf das Zölibat hinausläuft!) sur l'autel -- l'autel stellvertretend für den Kirchenstand insgesamt, dazu 2 Nuancen: 1. Traualtar (gegenüber Zölibat) 2. Opferbank (Liebe als weltliche Anbetung, wenn nicht heidnisches Götzentum); indiscrète -- vielsagend, ausplaudernd; pâquerette - anderer Name der Gänseblume, etwa: Osterblümchen; Deutung: die Erscheinung der weltlichen Margerite im klösterlichen Stundenbuch droht den Klerus in Unordnung zu stürzen.


Dans l'enceinte
Sacro-sainte,
Quel émoi!
« Quelle affaire,
Oui, ma chère,
Croyez-moi :
La frivole
Fleur qui vole
Arrive en
Contrebande
Des plat's-bandes
Du couvent.
enceinte -- Umfriedung (eigentliche Bedeutung des Wortes Kloster), sacro-sainte -- 1. geheiligt, hochheilig (positiv in veralteten Wendungen), 2. hochheilig (abwertend im Sinne von übertrieben heilig); quel émoi! - welch Bewegung/Erregung/Unruhe; quelle affaire = quel scandale! [Welch Aufruhr, welch Skandal]; oui, ma chère! - wörtl: ja, meine Liebe! im Petit Robert gekennzeichnet als affektiert/gekünstelt, Sinn etwa: ja, meine Gnädigste! oder sächsisch ja, meine Gutste! -- ob tatsächlich eine weibliche Person angesprocht wird, sei dahingestellt [siehe aber auch Strophe 3]; croyez-moi! man beachte doppelte Bedeutung von croire (glauben)!; la frivole fleur qui vole - hier die bedeutungslose fliegende Blume, keinesfalls das deutsche frivol, sondern nichtig, eitel, bedeutungsleer, oberflächlich, leger [siehe fleur légère 3. Strophe]; diese Blume [auf pétales bezogen auch: Blüte] kommt also als Schmuggelware aus den Rabatten des Klosters - Deutung: Die Blume ist „auf dem eigenen Mist" gewachsen, entspringt der »Natur« des Klosters! (Strophe der »bösen Zungen«!)

 
-- Notre Père
Qui, j'espère,
Etes aux cieux,
N'ayez cure
Des murmures
Malicieux.
La légère
Fleur, peuchère!,
Ne vient pas
De nonnettes,
De cornettes
En sabbat.
Einschub von j'espère: Vater unser, der du -hoff ich- im Himmel bist... - 1. Hoffentlich kein Strafgericht hienieden, 2. Hoffentlich siehst du nicht, was vor sich geht [a.: böse Gerüchte; b.: heimlicher Verstoß gegen Ordensregeln?] - folgt Einengung der Deutungen: sorg' dich nicht um die böswilligen Gerüchte (indirekter Religionsbezug von cure): !Einschub j'espère bedeutet in jedem Falle Zweifel an der Allmacht Gottes!; légère fleur (légère = frivole [Petit Robert: une fille légère et frivole: etwa: ein leichtsinniges und sorgloses Mädchen]; peuchère! -- südfranzösischer Ausruf wohlwollenden bis ironischen Mitgefühls [in Literatur Hinweis auf Gebrauch von peuchère! als südfranzösischer Ausruf tratschender Frauen; bei Brassens auch in L'ancêtre und 95 pour cent]; die Blume kommt nicht von Jungnonnen/Nönnchen/ Novizinnen bzw. Spitzenhäubchen am Sabbat (am Ruhetag). Tragweite der Gerüchte auf dem [mittelalterlichen] Höhepunkt: cornette -- das Flügelhäubchen der Nonne (mit zwei aufgeschnürten Spitzen bzw. "Flügeln") wird zurückgeführt auf das sprachliche Bild corne [Horn] mit »heimtückischem« Bezug zum Teufels- bzw. Hexensabbat. Nuance: Der Sabbat als Tag des Ausruhens von weltlicher Pflicht mit Hinrücken zur geistigen/geistlichen Betätigung wird im Klosterkontext unterschwellig zum gegenteiligen Ausruhen von geistlicher Pflicht... mit Hinwendung zum Weltlichen?

« Sachez, diantre!,
Qu'un jour entre
Deux ave,
Sur la pierre
D'un calvaire
Il l'a trouvée
Et l'a mise,
Chose admise
Par le ciel,
Sans ambages,
Dans les pages
Du missel.
Sachez - das einfach scheinende wisset ist mehrdeutig. In der zweiten Strophe ist croyez-moi noch eher an eine oder mehrere andere [weibliche? - siehe ma chère] Person(en) gerichtet, aber seit Notre Père... und N'ayez cure... ist es wohl gleichrangig zu deuten als Anrede Gottes, aber auch der Zuhörer wird in die Anrede einbezogen (im Deutschen diese Dreideutigkeit nicht wiederzugeben!). In der Gottesanrede erhält sachez noch einmal die Bedeutung des Zweifels an der Allmacht Gottes; der Fluch diantre! ist eine Abrückung vom Fluch diable! (wie im Deutschen potztausend! oder ei der Daus!); die Nähe zur (allerdings nur gedeuteten) Gottesanrede sachez erhöht die gotteszweiflerische Brisanz der Äußerung, zum anderen macht der Fluch durch seine Abrückung vom Teufel endgültig Schluss mit den mittelalterlich angehauchten Vermutungen/Verleumdungen: der Abt fand die Blume eines Tages zwischen zwei Ave Marias (drei werden gebetet: morgens, mittags, abends) auf dem Steine einer [in Stein gehauenen] Kreuzigungsgruppe (d.h. im Freien, möglicherweise im Prozessionsgang) bzw. abstrakt: auf einem Leidensweg (dem Leidensweg eines Mitbruders?) - wieder Bezug zum Osterfest [Auferstehung des Herrn]. Vom Himmel erlaubt, hat er sie ohne Umschweife (unumwunden) in die Seiten des Missale gelegt. Das Einlegen der Blume ins Betbuch selbst wird zum Symbol für den Geschlechtsakt...

« Que ces messes
Basses cessent,
Je vous prie.
Non, le prêtre
N'est pas traître
A Marie.
Que personne
Ne soupçonne
Plus jamais
La petite
Marguerite,
Ah! ça, mais... »
Messe basse - stille Messe (Betmesse) gegenüber messe chantée (Singmesse); aber auch umgangssprachlich: (am Rande) schwatzen, tuscheln (basse gleichzeitig auch: niedrig, vulgär, unwürdig; Formaspekt: Zischlaut-Reihung); je vous prie - wieder mehrdeutig: ich bitte Dich (Gott) oder ich bitte euch!; zum dritten Mal (nach ma chère Croyez-moi und j'espère) tritt hier die (bzw. eine) erzählende Ich-Figur in den sprachlichen Vordergrund; traître - Abtrünniger, treuloser Verräter; der Priester hat Maria nicht verraten! Weiterer Wunsch: Niemand verdächtige weiterhin jemals die Gänseblume (kleine Margerite)... ah! ça, mais... - Ausruf der Überraschung, <Beispiel laut Petit Robert: Ah! ça, mais, je ne me trompe pas, c'est bien lui! - etwa: So was aber auch (oder: Aber ja doch), ich täusche mich nicht, das ist er!>
Besonderes: Das petite der Gänseblume erweitert sich gegenüber der Einleitung hier viel deutlicher zu belanglos klein (analog zu frivole und légère der 2. bzw. 3. Strophe). Der Ausruf mais! als letztes Wort des Chansons stellt auf indirekt-assoziativer Ebene das Wörtchen mais (aber) in den Raum: sämtliche Zweifel sind möglicherweise doch nicht zerstreut...
(© 1966 Éditions Musicales 57)

THEMEN- UND FORMFRAGEN

1. Prägnanz der Reime

5 Strophen zu je 2 gleichen Teilen [Schweifreim AAbCCb, Großbuchstabe weiblicher Reim, Kleinbuchstabe männlicher Reim]; bei Brassens einziges kurzzeiliges Chanson mit vorherrschend weiblichen Reimen (dies mag Zufall sein, betont aber die weibliche Note des Chansons: la marguerite, la fleur...). (Gemeinhin wird das Chanson in 10 Strophen notiert, ich halte mich jedoch an die Melodieführung.)
2 Hauptthemen beherrschen das Chanson: Die Religion (Mönchsleben) und die Natur (Wildblume/das Weibliche).
Die Reime sind mit den inhaltlich wesentlichen Wörtern gebildet, wie folgende Tabelle zeigt.


RELIGION NATUR/LIEBE NICHTIGKEIT WICHTIGKEIT/SKANDAL
abbé
bréviaire 
autel
(sacro-)sainte
couvent
Père
cieux
cure (indir.)
nonnette
cornette
sabbat
diantre (indir.)
avé
calvaire
ciel
missel
messe
prie
prêtre
Marie
marguerite
pétale
pâquerette
plate-bande
marguerite
petite
frivole
légère
(peuchère)*
admise
petite
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
* association: peu chère
singulière
scandale
indiscrète
émoi
affaire
contrebande
murmures
malicieux
traître
soupçonne
mais


2. Themen/Motive 

Hauptthema: Religion - Kloster - Kasteiung/Zölibat - Ordensregel/Sittenstrenge
     Unterthema: Verteufelung des Sinnlich-Weltlichen und gegen die Sittenstrenge Gerichteten, schwarze Messen
     Untermotiv: Ostern/Auferstehung
Gegenthema: Natur - Liebesblume/Liebe - Weltlichkeit - Weiblichkeit - Sinnlichkeit
     Unterthema: Gerüchte - Verleumdung - Aufregung [ist von ebenso weltlichem Charakter wie die Gänseblume]
 

3. Deutungen

Das Chanson mag verdeckt ironisch sein (enceinte sacro-sainte, quelle affaire!, Notre Père qui j'espère..., sachez diantre!), aber das religiöse Umfeld wird direkt-sprachlich ohne Hohn dargestellt, auch ist der Einschub ins Vaterunser (Notre Père qui, j'espère, êtes aux cieux) als allgemeines Hoffen auf göttliche Erlösung deutbar. Dass eine kleine unscheinbare Blume (petite marguerite, fleur frivole/légère) im Bereich des Klosters um die Osterzeit ausreichend Anlass zu Aufregung, Gemütsbewegung und Spekulationen (scandale... sur l'autel, quel émoi!, quelle affaire!) bietet, hat die Ursache nicht in der Blume, sondern in der naturabgewandten, wenn nicht naturverleugnenden Kasteiung. Die Natur bricht sich Bahn in Form eines Gänseblümchens, welches -- als fliegende (qui vole) »kleine Schwester« der großen Liebesblume Margerite -- vom Wind getragen (qui vole) heimlich (en contrebande) in die gottzugewandten Klosterbereiche getragen wird, und zwar aus den klostereigenen Beeten. In der Kloster-Umgebung des Abtes erhebt sich: Bewegung/ Erregung/Gefühlswallung (émoi) und großes Aufheben (scandale, affaire). Andererseits scheint die »Gänseblumenaffäre« von Frauenmund verkündet zu werden. P. Wierichs gründet dies in seiner Dissertation [1975 - Westfälische Wilhelms-Universität - Philosophische Fakultät - Münster] (in Anlehnung an Nebenliteratur) darauf, dass der ironische und ablehnend-anziehende Ausruf peuchère! von Frau zu Frau gehe. Der Ausdruck oui, ma chère lässt gleichfalls darauf schließen, obwohl es sich hier wohl um eine verkürzte übertragene Wendung handelt, wie im Nouveau Petit Robert ausgeführt: »avec une pointe de préciosité. Cher ! Très cher ! Oui, ma chère!«
Der Schlüssel zur Deutung ist Strophe 2. Das Ich dieser Strophe ist nicht gleich dem Ich der 3. bis letzten Strophe. Strophe 2 charakterisiert in wörtlicher Rede die bösen Zungen (mit ihren messes basses) : La frivole fleur qui vole arrive en contrebande... Strophe 3 leitet unter Berufung auf die Güte Gottes die Gegenrede ein und »stellt klar«: La légère fleur, peuchère, ne vient pas de nonnettes, de cornettes... Die nonnettes und cornettes haben zwei Hauptdeutungen. 1. Die klösterlich einzig vorstellbare Weiblichkeit ist die von Nonnen. 2. »Ausrutscher« des anscheinend mehr wissenden Ich-Erzählers -- es ist an der Geschichte wohl doch mehr dran als hier abgewiegelt wird.
Weiterhin interessant ist die Begriffsstreuung des Sabbat -- Die Blume/Blüte kommt (rührt) nicht von Nönnchen/Flügelhäubchen am Sabbat (her) -- Jungnonnen welche vom Wochenwerk, d.h. im vorliegenden Falle: Gotteswerk ausruhen. Das Ausruhen vom Gotteswerk schlägt den Bogen auf die schwarzen Messen, Teufels- und Hexensabatte, verstärkt durch die Heraufbeschwörung eines Meeres von cornettes (Flügelhäubchen, wörtl.: Hörnchen). Die Nonnenhäubchen selbst werden zum Symbol der »Teufelsanbetung«. Erst Strophe 4 beendet diese kurze und äußest vage Andeutung von Teufelswerk: Sachez, dia...ntre!..., und der Fluch diantre (verschleierte Form von diable) versinnbildlicht sprachlich diese Abrückung vom Teuflischen/Verteufelnden. Nicht beim Ausruhen vom Gotteswerk, sondern bei Erfüllung seiner gottesdienstlichen Pflicht kam der Abt an die Blume! Die Tagesordnung im Kloster (sei es das Mönchs- oder Nonnenkloster) wird wieder hergestellt, indem berichtet wird, wie der Abt die Blume »auf einem Leidensweg« (dem Jesu Christi? seinem eigenen? dem eines Mitbruders?) fand, und den bösen Zungen das weitere Tuscheln untersagt wird... da wohl sonst das Kloster und die Ordenschaften bzw. der Klerus insgesamt (l'autel) gefährdet würden.
Die (nicht nur!) altertümliche Sprache von Georges Brassens darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Chanson im 20. Jahrhundert geschrieben wurde und sich an heutige Zuhörer richtet. Es behandelt das katholische Zölibat. Und das Thema wird sprachlich und gestisch aus dem eigenen religiösen Umfeld heraus behandelt -- ohne vordergründigen außenstehenden Hohn und Spott. Wie typisch für die Poesie von Georges Brassens, wird der Gegenstand von innen heraus abgehandelt: mit greifbaren, äußerst präzisen Bildern und ohne einen gottgleich über dem Dargestellten schwebenden Erzähler. Natürlich hat Georges Brassens hinter der Ich-Figur sprachlich und gestisch alles geordnet, aber er wirft eine Frage auf, stellt eine Konstellation dar, ohne sie zu beantworten.
P. Wierichs verweigert in seiner Dissertation auffallenderweise die Interpretation des Vaterunser-Einschubs: Notre Père qui, j'espère, êtes aux cieux... unter Verweis auf die strikten Formzwänge der kurzzeiligen Struktur. Da das Chanson durchweg die gleiche Formstrenge aufweist, dürfte dann überhaupt nichts gedeutet werden. Ursprung dieser Verweigerung Wierichs ist wohl der generelle Umstand, dass Brassens meist über Gebühr mit den Ich-Figuren seiner Chansons identifiziert wird. Zweiter Ursprung scheint zu sein, dass die aufdrängende Interpretation (Brassens sei religiös) sich nicht in den Grundtenor der Dissertation einfügt. Dabei widerspricht dieses Hoff-Ich-Vaterunser in keiner Weise dem künstlerischen Gestus von Georges Brassens. Brassens behandelt keines seiner Themen aus einer überschwebenden Fernsicht. Meine felsenfeste Deutung ist: Der Erzähler des Chansons (ab der 3. Strophe!) ist Teil der Klosterwelt (und kann in keiner Weise mit Brassens identifiziert werden, außer dass er wohl männlich ist). Dans l'enceinte sacro-sainte... ist kein Blick von außen ins Kloster, sondern ein Blick von innen an die Klostermauern. Notre Père qui, j'espère... bedeutet nicht nur Hoffnung, dass es Gott gibt, sondern birgt genauso die Hoffnung, dass Gott nicht mit ansehen muss, wie seine ihm geweihten Klosterdiener sich nur wegen des Anblicks einer unscheinbaren, eitlen (frivole, légère) Blume betragen, und zum dritten schwingt ganz im Hintergrund, und genau das ist Brassens' Ironie: Falls etwas an der Sache sein sollte, hoffentlich ist Gott im Himmel (und nicht auf Erden!), sodass er nichts gesehen hat und nichts davon weiß (sachez). Das wird bekräftigt durch die drei Folgezeilen: n'ayez cure des murmures malicieux... -- Sorg dich nicht um das boshafte Gemurmel... In jedem Falle wird durch den Einschub j'espère Zweifel, wenn auch nur äußerst leiser Zweifel, an der Allmacht Gottes »laut«; und Brassens stellt durch die »Dreifaltigkeit« seines Sprachgebrauchs an dieser Stelle Hoffnung und Zweifel in einen sehr wohl berechtigten Zusammenhang.
Wenn auch in der letzten Strophe an die Umwelt appelliert wird, nicht weiter einen solchen Verdacht angesichts der kleinen Margerite zu hegen, endet der letzte Vers des Chansons, der den Charakter eines Ausrufes trägt, mit dem Wort mais, welches in erster Linie als Ausruf der Bestätigung aufzufassen sein mag, aber dennoch als letztes Wort des Chansons im Raum steht und ein zweifelndes Aber aufwirft, wie vage dies auch anklingt...

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