MAIENWUNDER
(Walther von der Vogelweide)
Múget ir schóuwen, waz dem meien
wunders ist beschert?
seht an pfaffen, seht an leien,
wie daz alles vert!
grôz ist sîn gewalt,
ine weiz, ób er zouber künne:
swar er vert in sîner wünne,
dân ist nîeman alt.
Uns will schiere wol gelingen,
wir suln sîn gemeit,
tanzen, lachen unde singen,
âne dörperheit.
wê, wer wære unfrô,
sît dîu vogellîn alsô schöne
singen in ir besten döne,
tuon wir ouch alsô!
Wol dir, meie, wie dû scheidest
allez âne haz!
wie dû walt und ouwe kleidest
und die heide baz!
diu hât varwe mê,
'dû bist kurzer, ich bin langer!'
alsô strîtent si ûf dem anger,
bluomen unde klê.
Rôter munt, wie dû dich swachest,
lâ dîn lachen sîn!
scham dich, daz dû mích an lachest
nâch dem schaden mîn.
ist daz wol getân?
owê sô verlorner stunde,
sol von minneclîchem munde
sólhe unmínne ergân!
Daz mich, frouwe, an fröiden irret,
daz ist iuwer lîp.
ân iuch iemer ez mir wirret,
ungenædic wip!
wâ nemt ir den muot?
ír sît doch genâden rîche:
tuot ir mir ungnædecliche,
sô sint ir niht guot.
Scheidet, frouwe, mich von sorgen,
liebet mir die zît!
óder ich múoz an fröiden borgen,
daz ir sælic sît!
muget ir umbe sên?
sich fröit al diu werlt gemeine:
möhte mir von iuch ein kleine
fröidelin geschên.
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DER ALTE SÄNGER IM MAIEN
(Nachdichtung: Ralf Tauchmann)
Schauet nur, was der holde Maien
Wunder uns beschert!
Seht an Pfaffen, seht an Laien,
Wie das alles währt.
Groß ist sein' Gewalt,
Fast scheint's, dass er zaubern könne.
Wo er währt in seiner Wonne,
Da ist niemand alt.
Heut soll alles gut gelingen,
Wunderbare Zeit!
Tanzen, lachen, fröhlich singen
Ohne Peinlichkeit!
Wer wär wohl nicht froh,
Wenn die Vögel schon im Grünen
Singen in den höchsten Tönen…
Tun wir's ebenso!
Maien, Du im grünen Kleide
Schlichtest jeden Hass.
Wie Du Aue, Wald und Heide
Eingekleidet hast!
So wie eh und je
Hör ich's streiten auf dem Anger
"Du bist kürzer! Ich bin langer…"
Streiten Blum'n und Klee!
Roter Mund, wie kannst Du's wagen?
Lass das Lachen sein!
Freust Du Dich an meinem Schaden,
Arges Herz aus Stein?
Das geht wohl zu weit,
Da kommt heute Stund um Stunde
aus solch liebreizendem Munde
nur Lieblosigkeit!
Was mir meine Freude störet,
Herrin, das seid Ihr,
Was mich sonst an Euch betöret,
Macht mich heute wirr!
Warum dieser Ton?
Sonst lasst Ihr stets Gnade walten,
Doch gebt mir, dem armen Alten,
Undank nur zum Lohn!
Herrin, nehmt mir meine Sorgen
Für mein Altenteil,
Sonst muss ich mir Freude borgen,
Für Eu'r Seelenheil.
Schaut Euch um, seht ein:
Heut ist draußen die gemeine
Welt voll Freude, doch nicht eine
Freud' davon ist mein!
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