DER  STARKE TOBAK  DES  MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann


FERNANDE alias LIESELOTTE 
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Welches Thema Georges Brassens in seinen Liedern auch behandelt, welche Liedgattung er auch aufgreift, ob Schmählied (z. B. Le gorille, Hécatombe, Les patriotes), ob Volkslied (z.B. Comme une sœur, Brave Margot), ob Militärlied (wie La guerre de 14-18) oder auch schlüpfrig-schweinisches Lied (z. B. 95 pour cent, Melanie), immer schwingt im Hintergrund die soziale Komponente oder besser: Immer geht es um das Zusammenleben der Menschen aus der Sicht des Einzelnen, denn der Begriff »soziale Komponente« scheint bereits viel zu hoch und überschwebend für die bodenstämmige und urwüchsige Behandlung dieser Thematik bei Georges Brassens, der seine tieferen Inhalte aus dem menschlich Naheliegenden schöpft und verallgemeinert, statt vorgefertigte theoretische Gedankengebäude der Wirklichkeit überzustülpen.
So auch im Lied Fernande, das in lockerem Ton in der Gestalt eines Lobgesanges auf den Phallus daherkommt, allerdings nicht auf irgendeinen Phallus, sondern auf den Phallus des bzw. der Junggesellen. Das ist die Rahmenhandlung, die die erste Strophe einleitend einführt (vieux garçon) und die letzte Strophe schlussfolgernd verallgemeinert (solitaires). Dazwischen liegen vier Strophen, die jeweils das landläufige Cliché eines typischen einsamen Berufes (Junggesellenberufes) zum Thema haben: Wachtposten, Leuchtturmwärter, Priesterschüler (Zölibat), Soldat (noch dazu toter Soldat). Auch die Ich-Figur der ersten Strophe gehört zu diesen Berufsjunggesellen: der Künstler an sich (bzw. speziell Brassens selbst in seiner öffentlichen Image-Figur). Dies ist ganz offensichtlich der äußerst einfache und naheliegende gedankliche Faden, an dem Brassens seine Strophen aneinanderreiht. Bei meiner Arbeit an der deutschen Übersetzung kam mir ganz spontan noch der Schäfer ein, dessen Berufsbild sich ansatzweise in die genannten Clichés einfügt -- allerdings mit der Einschränkung, dass das Hirtliche gerade beim späteren Brassens mehr dem Idyll verhaftet ist (Je rejoindrai ma belle, Dieu s'il existe). Brassens wäre jedoch nicht Brassens, wenn er diesen Clichés nicht eine besondere Seite abzugewinnen wüsste. Allein das Spiel mit Berufsbildern entwickelt eine gesellschaftliche Linie und »untergräbt« die manchmal vorgebrachte einseitige Deutung, dieses Loblied auf den Phallus sei ein Macho-Lied. Nein, schon mit der Zölibat-Strophe und spätestens beim unbekannten Soldaten wächst der Phallus sozusagen über sich hinaus und wird Symbol des Lebenstriebes an sich, zugestanden: des männlichen Lebenstriebes, aber diesen Umstand zu negieren, wäre Naturverleugnung. Die Fehldeutung als mannsprotziger Gesang ist aber nicht verwunderlich in Anbetracht des heutigen Zeitgeistes, wo der Phallus, einstens Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit, im Zuge der Emanzipierung der Frau oftmals als Gewaltinstrument, ja sogar als ins Soziale umgedeuteter kriegsverantwortlicher Naturtrieb betrachtet wird und dem Manne mitunter nicht mehr »gut zu Gesicht steht«, sondern ihn zum Mannsprotz degradiert.

Das Besondere an dem Lied Fernande ist genau diese Rückführung des Phallus auf seine ursprüngliche Bedeutung. Nein! Der Phallus ist nicht Kriegsinstrument, sondern ein Lebenstrieb, denn – so Brassens’ Schlussfolgerung im letzten Vers des Refrains – der Phallus, ça n’se commande pasdas geht nicht auf Bestellung, das geht nicht auf Befehl! Und der Refrain findet spätestens in der Strophe des toten unbekannten Soldaten seine Bestätigung, denn – schweinisches Lied hin, schweinisches Lied her! – es stellt sich auch die Frage, die Hannes Wader so gefasst hat: Hast du toter Soldat je ein Mädchen geliebt? Ein ganz klein wenig kann man sich hier auch an das Brassens-Lied Les deux oncles erinnert fühlen, wo Brassens die toten Onkel suggestiv wünschen lässt, sie könnten noch da sein und auch dieses Lied bei einem Glase Wein mitsingen…

Ich habe das Lied Fernande in meiner Übersetzung bereits einmal zu DDR-Zeiten im kleinen Kreise gesungen und weiß, dass die Strophe mit dem toten Soldaten im Zusammenhang mit dem »schweinischen Refrain« als eine Art »Grabschändung« empfunden wurde, als würde das Gedenken gefallener Soldaten in den Schmutz gezogen. Dabei macht diese Strophe nichts weiter, als den Soldaten vom willenlosen Kanonenfutter zum Menschen zurückzuführen – mit seinen Freuden und Lüsten! Auch und gerade hier tritt Brassens große Menschlichkeit zutage, weg von überhöhter (=entmenschlichter) Verheldlichung und Glorifizierung des Soldaten, aber auch weg von dem frauenemanzipatorischen Cliché und Mythos der Waffe als Verlängerung des Phallus und des Krieges als sozialer Ausdruck des tierischen Sexualtriebes des Mannes. Wer Fernande als Macho-Gesang versteht, trägt schwer am Zeitgeist; wer die Strophe des unbekannten Soldaten als ehrenrührig empfindet, trägt nach wie vor schwer am überhöhten Heldenmythos, der schon immer herhielt, um neue Soldaten zu rekrutieren und in ein imaginäres »höheres Ich« zu führen. Hier sind wir ganz dicht am Thema des Liedes Mourir pour des idées : die Überhöhung des menschlich Naheliegenden, das Versprechen des Himmelreiches, das Erheben in den Heldenstand, womit geistige (= ideelle!) Führer jeglicher Couleur die Rekrutierung ihrer Handlanger vorantreiben.

Strophe:
umschließender Reim mit aBBa
(Kleinbuchstabe = männlicher Reim,
Großbuchstabe = weiblicher Reim).
Der jeweils zweite Vers der Strophen
ist ein Sechssilber, die anderen Verse
der Strophen sind Achtsilber.


Refrain:
Im Paarreim angeordnete Knüttelverse verschiedener Silbenzahl (4, 5, 6).
So weit zum Inhaltlichen! Brassens wäre nicht Brassens, wenn nicht auch die künstlerische Bearbeitung des Themas ihr Wörtchen mitzureden hätte. Dabei geht es mir nicht in erster Linie um die poetische Form, die Brassens meisterhaft zu gebrauchen weiß, ohne übermäßige inhaltliche Kompromisse eingehen zu müssen: Während der Refrain in volkstümlich eingängigen, paarig gereimten Knüttelversen (rimes plates) gefasst ist, sind die Strophen mit umarmendem Reim (rime embrassée) etwas diffiziler gebaut. Nein, es geht um ein kleines Detail im Refrain, um einen Kommentar zur französischen Sprache, der mir in meinem Bestreben, Brassens auch und vor allem im künstlerischen Gestus ins Deutsche zu bringen, viel Kopfzerbrechen bereitete.

Diese sprachbezogene Aussage befindet sich (neben der bereits erwähnten inhaltlichen Aussage) in der letzten Zeile des Refrains: Ça n’se commande pas. Nun gehört im Französischen das Wort bander (je bande, je bande…) zum Kreis der intransiven Verben, d. h. absolut gebrauchter, beschreibender Verben, die kein direktes Objekt haben und somit auch nicht ins Passiv gesetzt werden können (z. B. schlafen, vergessen…). Wie bei »je bande« ist zwar das Subjekt als scheinbarer Handlungsträger vorangestellt, handelt aber nicht eigentlich, sondern kann die ablaufende Handlung bzw. den »zu Stande« kommenden Zustand nur zur Kenntnis nehmen. Diese existentiellen Verben (mourir, naître, bander…) bezeichnen Sachverhalte, auf die keine aktive Einflussnahme möglich ist, kurzum: ça n’se commande pas – das geht nicht auf Bestellung/Befehl.

Dieser sprachliche Gedanke blitzt in mehreren späteren Liedern von Brassens auf, z. B. in Mourir pour des idées mit dem Verb mourir im Lied Mourir pour des idées (vor allem in der eigentlichen unmöglichen grammatischen Form mourons) und in Ce n’est pas tout d’être mon père mit dem Verb naître (on naît et nous voilà… contraints d’estimer ces gens-là).

Für die deutsche Übersetzung stellte sich die Frage, wie mit dieser formsprachlichen Aussage zu verfahren war.

Den Gedanken, »je bande« mit einer Wendung wie »Denke ich an Greta, dann steht er…« zu übersetzen, habe ich nicht lange weiterverfolgt, denn ER als „dritte Person“ fällt hier sprachlich völlig aus dem Rahmen: Wenn ICH an SIE denke, steht ER… Aus sprachlicher Sicht im oben genannten Sinne unmöglich!

Nach geraumer Suche kam mir als akzeptabler Mittelweg die Wendung »Latte kriegen« gut zupass. Sprachlich zwar etwas tiefer gelegen, aber das Ich konnte ich grammatisch als Handlungsträger (Agens) verwenden. Hinzu kam, dass die Wendung »Ich kriege« über die (potenzielle) Mehrdeutigkeit mit »Ich führe Krieg« sich wunderbar in die (anti-)militärischen Nuancen des Liedes »einreiht«. Die gleiche Möglichkeit des Wortes nutze ich noch in der Übertragung zweier anderer Lieder:

Comme de la patrie je ne mérite guère,
J'ai pas la Croix d'honneur, j'ai pas la croix de guerre.
Ich trage wahrlich kaum Verdienst am Vaterland,
Kriegte kein Kriegskreuz und kriegte kein Ehrenband
(LA TONDUE)
(DIE SCHUR)
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Est-ce à dire que je méprise
Les nobles guerres de jadis,
Que je m'soucie comm' d'un' cerise
De celle de soixante-dix ?
Heißt das etwa, mein Auge trüb sich
Vor gutem altem Adelskrieg
Oder dass bei dem einundsiebzig
Ich nur das kalte Grausen krieg?
(LA GUERRE DE 14-18) (DER 14-ER KRIEG)


Das Lied Fernande hat jedoch noch eine inhaltliche Komponente, die sich aus dem kompositorischen Grundgerüst ergibt. Nachdem die ersten Strophen die Berufsjunggesellen-Clichés eines nach dem anderen jeweils in Einzahl »abgearbeitet« haben, führt die letzte Strophe zur Verallgemeinerung: der Aufruf an die Junggesellen, den gerade gesungenen Refrain zur Nationalhymne zu erklären. Hier gipfelt die schlüpfrige Farce auf ihrem Höhepunkt... und spätestens hier wird deutlich, dass die Junggesellenberufe stellvertretend für eine politisch-soziale Aussage stehen. Man kann deuten, dass Brassens auf die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung anspielt, dass immer mehr Menschen allein als Junggesellen (nach heutigem Sprachgebrauch »Singles«) leben.

Andererseits charakterisiert Brassens in einigen anderen Liedern den Junggesellen als Störenfried der materiell-altbürgerlichen Eheordnung (L’orage, Le cocu, A l’ombre des maris…), der mit seiner freien sexuellen Potenz dem Ehemann die Sicherheit des ehelichen Haus- und Treuestandes nimmt. (Erneut ist dies ein ganz einfaches, naheliegendes und jedem bereits bekanntes Wissen.) Diese Einfachheit des Gedankens verhindert aber nicht, dass Fernande als »Kunstlied« hintergründig Stellung gegen die materiell ausgerichtete bürgerliche Moralordnung bezieht. Andere Lieder wie La non-demande en mariage oder Pénélope behandeln dieses Thema der ehelichen Strukturen deutlicher und mit viel größerer und innigerer Gefühlsbreite als dies im Phallus-Gesang des Liedes Fernande der Fall ist. Das zeigt vielleicht noch einmal, dass die Deutung des Liedes als Macho-Gesang viel zu sehr der Oberfläche verhaftet bleibt und dass Fernande im Gegenteil ein Baustein der emanzipatorischen (männlich wie weiblich emanzipatorischen) Gedankenlinie der Brassensschen Gedankenwelt – oder sagen wir lieber: Empfindungswelt – ist, denn letztlich sind es nicht unbedingt weltbewegende neue Gedankenweisheiten, sondern uns eigentlich bereits bekannte Gefühlswahrheiten, für die die Lieder von Brassens nur die Sinne schärfen.

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