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BRASSENS
UND
BASDORF
1943
Von den meisten Fremd- und
Zwangsarbeitern, die Hitlerdeutschland während
des zweiten Weltkrieges in Industrie und Landwirtschaft einsetzte,
haben
sich die Spuren jenseits der Öffentlichkeit verloren. So auch von
den
meisten jungen Franzosen der Jahrgänge 1920, 1921 und 1922, die in
den
Jahren 1943 bis 1945 in Deutschland arbeiteten. Unter ihnen befand sich
--
einer von vielen -- ein junger Mann, der Jahre später in
Frankreich
zu einem der berühmtesten Vertreter des modernen
Nachkriegschansons
werden sollte: Georges Brassens. Von März 1943 bis März 1944
arbeitete
er in Basdorf, einem Dorf nördlich von Berlin, in den dortigen BMW-Flugzeugmotorenwerken. Von einem Heimaturlaub im März 1944 kehrte
er nicht nach Basdorf zurück, sondern tauchte in Paris unter. Nach
etlichen
Hungerjahren gelang Georges Brassens 1952, nicht zuletzt dank der
Vermittlung
seines Schulfreundes Victor Laville, der Durchbruch als
"chanteur-poète".
2003
Es ist das Verdienst von Wilhelm JUNGLAS,
der
in Frankreich als Bildhauer
arbeitet und eigene Nachdichtungen von
Brassens
in deutsch singt, und der Basdorfer Bürgermeisterin Heidi FREISTEDT, dass der Name eines
Fremdarbeiters nach Basdorf zurückkehrt, wo es seit dem 04. Juli
2003 einen GEORGES-BRASSENS-PLATZ gibt.
Foto:
Jean-Michel Pansard
Der Georges-Brassens-Platz
in Basdorf.
Links: Die Basdorfer Bibliothek direkt am Bahnhofsgebäude
Am gleichen Tage wird zu diesem Anlass in
Basdorf eine Gedenktafel enthüllt:
Bürgermeisterin Heidi
FREISTEDT bei der Enthüllung der
Brassens-Gedenktafel.
Nicht allein der Name Georges Brassens kehrte nach Basdorf zurück,
mit ihm am Wochenende
des 12. bis 14. September 2003 auf Einladung der Basdorfer
Bürgermeisterin und der umliegenden Gemeinden auch zwei ehemalige Fremdarbeiter in Person -- Pierre ONTENIENTE, der
persönliche Sekretär von Georges Brassens, und René ISKIN, der 1943-44
erste Kompositionen von Georges Brassens im Kasino des Basdorfer
Fremdarbeiterlagers sang. Die bewegendsten Momente waren sicher der
Rundgang im teilweise erhaltenen ehemaligen Lager und der
Chanson-Vortrag von René Iskin, einfühlsam begleitet von Jean-Yves VINCENT an der
Gitarre, in den Räumen des ehemaligen
Kasinos. Weiterhin zu Gast
waren Georges BOULARD, ein
tiefer Kenner der Brassensschen Biografie und Veranstalter des
Brassens-Festivals in Vaison-la-Romaine, Jean-Michel PANSARD mit einer am
13. September 2003 in der Bibliothek gezeigten Ausstellung über
Georges Brassens, Victor LAVILLE, Schulfreund und Förderer
von Georges Brassens, Didier AGID
von der Vereinigung PASSAGE
sowie zahlreiche weitere Freunde von Georges
Brassens...
Foto:
Jean-Michel Pansard
Am Eingang des
alten "Kasinos".
v.l.n.r.:
Georges Boulard, Heidi Freistedt, Wilhelm Junglas,
Pierre Onténiente ("Gibraltar"), Peter Liebehenschel,
René Iskin, Jean-Yves Vincent
Am Abend des 13. September 2003 fand eine Hommage
an Georges Brassens statt.
Durch den Chanson-Abend führte Ralf TAUCHMANN, der gemeinsam
mit Wilhelm JUNGLAS und
dem
Basdorfer Peter LIEBEHENSCHEL
dem überwiegend deutschen
Publikum Brassens
in deutschen Texten nahebrachte. Besondere
Momente waren der Beitrag von Peter
Liebehenschel, der für diesen Abend eigens ein Lied "Für
Georges" geschrieben hatte, und insbesondere der Vortrag von
René Iskin, der in hervorragender Begleitung von Jean-Yves
Vincent 10 frühe, noch kaum bekannte Chansons von Georges Brassens
in Französisch sang.
Foto:
Jean-Michel Pansard
René
Iskin
begleitet von Jean-Yves Vincent
bei der gelungenen Wiederbelegung verloren
geglaubter früher Brassens-Chansons
Kurzfristig aus Schweden angereist war Tord HENRIKSSON, der Georges
Brassens in Schwedisch singt und das Programm mit drei
schwedisch-französischen Beiträgen (Dans l'eau de la claire
Fontaine, Le gorille, Histoire de faussaire) bereicherte. Der stabile
musikalische Kern des Abends war Jean-Yves
Vincent, der die zweite
Gitarre spielte und am Ende Brassens wieder in die französische
Sprache zurückholte. Zum Abschluss
ertönte als vielstimmiger Chor mit den französischen
Gästen das Chanson, das Georges Brassens selbst als seinen
einzigen wirklichen "Hit" bezeichnete: LES COPAINS D'ABORD...
Foto:
Jean-Michel Pansard
»LES
COPAINS D'ABORD...«
hinten: Jean-Yves Vincent an der Gitarre
im "Mittelfeld": Willy Junglas, Georges Boulard, Jean-Michel Pansard
vorn: Tord Henriksson, Ralf Tauchmann
Ein ganz besonderer Dank gebührt Heidi Freistedt für ihr
persönliches und organisatorisches Engagement. In Frankreich nach
Georges Brassens benannte Straßen, Plätze, Parks oder
Schulen zu finden, ist keine Kunst. In Deutschland ist ein
Georges-Brassens-Platz ein Novum. Der Name Georges Brassens ist in
Deutschland längst nicht so selbstverständlich wie in
Frankreich.
Foto:
Jean-Michel Pansard
Heidi Freistedt mit einem Namensschild
überreicht von ihren französischen Gästen
Darüber hinaus reift
die Idee der Gründung eines
Brassens-Freundesvereins in Basdorf,
was insbesondere der Initiative von Marion SCHUSTER und Jürgen GÜNTHER
zu verdanken ist...
Mir selbst sei zum Abschluss ein ganz persönliches Wort gestattet:
René Iskin nach 60 Jahren am Ort der ungeliebten Zwangsarbeit im
Alter von 83 Jahren das Lied "Maman Papa" (in der ursprünglichen
Version) singen zu hören,
gehört zu meinen schönsten Erfahrungen. Während
Westdeutschland sich mit Frankreich längst ausgesöhnt hatte,
war Frankreich für Ostdeutschland nach der Wende noch immer in
gewissem Sinne Neuland. Ich stelle hier ans Ende meine ganz freie
Übertragung des Chansons LES DEUX ONCLES, welches in Frankreich
Georges Brassens viel Kritik eingebracht hatte, da er scheinbar
Widerstandskämpfer und Kollaborateure in einen Topf warf.
Meine Übertragung ist scheinbar weit entfernt vom Original,
aber ich empfinde sie dem tieferen Sinn des gescholtenen Chansons "LES
DEUX ONCLES" auf anderer Ebene sehr sehr nahe... eben nur vor dem
Hintergrund Deutschlands... und aus einer ganz persönlichen Sicht.
Ralf Tauchmann
ZWEI
ONKEL
(Ralf Tauchmann
in
freier Anlehnung an Georges Brassens)
Zwei Onkel
hatte ich – das
heißt: ich hätt beinah'
Zwei Onkel
mehr gehabt. Doch sie
war'n nicht mehr da.
Beide starben
im Krieg für
Groß-Germania:
Heinz fiel in
Russland, Otto in
Italia.
Mein Vater
übte, grad mal
sechzehn, für den Sieg,
Da endete zum
Glück für ihn
der große Krieg.
Die
Brüder hatten irgendwo die
letzte Ruh...
Und
fünfzehn Jahre drauf
stieß ich zufäll'g dazu!
Waffen, die
nach dem Krieg man
übern Haufen warf,
War'n durch
neue ersetzt –
blitzeblank und scharf!
Es gab, so war
die Zeit!, zwei
Deutschlands mittlerweil'n!
Bei Staaten
geht's, doch Menschen
können sich nicht teil'n.
In einem
Deutschland bekam man die
Alten satt,
Da fand
irgendso'n kom'sches
Achtundsechzig statt!
Im andren
deutschen Teil, in dem mein
Vater blieb,
Roch es zur
gleichen Zeit nach
Angstschweiß, Trän'n und Krieg!
Da dacht' man,
es würd' neu's
Kanonenfutter geb'n,
Nach der
Devise: »Hunde, wollt'
Ihr ewig leb'n?!
Kämpft
für die große
Sach'! Ihr seid des Staates Zier!
Es geht um
Dinge hier, um viel's
größer als Ihr!«
Viel
größer als der
Mensch?! Was denken die sich bloß!
Und doch: Der
Krieg ist immer
überlebensgroß!
Ein Spiel von
großen Herrn in
übergroßen Vill'n –
Spiel mit des
kleinen Mannes
Überlebenswill'n...
Mein lieber
Onkel Otto, lieber Onkel
Heinz!
Ich habe nur
ein Leben! Ihr beide
hattet keins!
Verblendet,
ausgenutzt, gabt auf dem
Feld der Ehr'
Für
fremden
Größenwahn ihr Haut und Knochen her...
Ihr
hättet sicher gern bis zu
Ende gelebt
Und auf viel
bodennäheren Wolken
geschwebt!
Vielleicht
säßt ihr heut
hier vor einem Glase Wein
Vielleicht
stimmtet Ihr gar gern in
das Lied mit ein:
Dass es
idiotisch ist, für
blendende Ideen,
Die
irgendeinem kommen, kurz drei
Runden dreh'n,
Zig Tote mit
sich nehm'n und dann
wieder verzieh'n,
Mit Hipp
hipp und hurra groß in den Krieg zu zieh'n,
Dass vorm
Abdrücken man, so als
prüfe man Gold,
Die Knarre
drei Mal in der Hand
umdrehen sollt,
Um sie ins
Korn zu werfen, sonst
trifft man am Weg
Am End noch
Ausverseh'n den guten
alten Schwejk...
Ihr
säßet gerne hier und
stießet wie ein Mann
Zu frohen
Liedern auf eure Gesundheit
an!
Würdet im
Gärtchen noch bis
heut Radieschen sä'n,
Statt sie seit
sechzig Jahr'n von
unten zu beseh'n!
Ihr schertet
euch ein'n Dreck um
Stolz und Vaterland
Und reichtet
alten Feinden
versöhnlich die Hand!
Inzwischen
wurd' Europa friedlich neu
erbaut...
Schon wird's
in jüngster Zeit
beschimpft als alt und out!
Oh all Ihr
glücklichen Gesell'n,
die ihr zerschürft
Vielleicht
heut Abend schon vor Gott
hintreten dürft,
Nehmt die zwei
Blumen mit und gebt
sie, wenn das geht,
Meinen zwei
Onkeln, falls Ihr sie
irgendwo seht!
Im Leben wie
im Tod waren sie nicht
von Dau'r!
Geschichtlich
haben sie kein bisschen
Recht auf Trau'r!
Sie sind
vergessener und damit in der
Tat
Unbekannter
als der unbekannte Soldat!
Die
Tränen um die zwei sind
lange schon versiegt.
Wir scher'n
uns drum wie um den
dreißigjähr'gen Krieg!
Der
Westfälische Friede, damals
so gewollt,
Wurd' seither
zig Mal überrannt
und überrollt...
Hier zwei
Vergissmeinnicht, für
jeden Onkel eins:
Eines für
Onkel Otto – eins
für Onkel Heinz!
Sie starb'n
vor sechzig Jahr'n
für Groß-Germania –
Einer in
Russland, einer in Italia...
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