Ein Herbst-Tango
(VERSION FRANÇAISE ÉCRITE)

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(Musikdatei: 2,22 MB)

© 2009 Ralf Tauchmann


D I E   S T A D T

... teilt sich vor unsrem Schritt; sie zieht
mit ihren Giebeln, Märkten, Brücken
rechts, links vorbei an unsren Blicken
und schließt sich wieder dicht im Rücken;
beengt hüpft unser Herz auf Krücken
durch aufgegebenes Gebiet.

Im Brustkorb kauernd, eingeigelt,
groß von Erinnrung überschwemmt,
klopft zaghaft es ans Unterhemd,
wo's zwischen Mut und Wehmut klemmt,
wo's sich zwischen die Rippen stemmt
und wo's sich kläglich eulenspiegelt.

»Es klopft. Wer da? Ach du, mein Herz!«
Der Schelm in uns versucht mit Mühen
das dicke Fell uns abzubrühen,
doch in die Wangen, die im frühen
und frischen Winde glutrot glühen,
streut eine Prise Salz der Herbst.

Die Stadt lässt sich wie sonst durchschreiten,
den Durchgang hat sie uns gewährt.
Der Zugang aber bleibt verwehrt;
das Pflaster wirkt uns abgekehrt;
die Straßen sind wie frisch geleert;
die Häuser schau'n stumm zu den Seiten.

Wie tief in Bernstein das Insekt,
ganz ausgesperrt, ganz eingeschlossen,
hat uns der Herbst in Wind gegossen
und unter dessen wilden Possen
falln herbstlaubgleich die Sommersprossen
uns auf die Hand als Altersfleck.

Das will der Stadt nicht ähnlich sehen,
dass sie sich so abweisend gibt,
dass sie uns, ganz wie's ihr beliebt,
mal eben zieht, mal eben schiebt
und das Gedächtnis uns durchsiebt,
wo sich Erinn’rungen wild drehen!

Und die Erinnerungen tolln
hinan die Fenster und Fassaden.
Hier reihte sich Laden an Laden;
da gab es Eis und Limonaden;
dort schluckt' ich an stickigen Schwaden,
die winters von den Dächern quolln.

Die hohen übertünchten Giebel
hülln sich in dunstiges Gewölk;
ob wohl im Dachstuhl das Gebälk
mit morschem Krachen sich schon wölbt?
Und hinterm Haus stehn Bäume welk
im Kirchhof namens Alte Bibel.

Sieh da, mein Herz, wir sitzen fest
in Onkel Wenzels Seifenblase
und sehn mit plattgedrückter Nase
verzerrt dort draußen Stadt und Straße;
so schaut der Goldfisch aus dem Glase,
das ihm den Blick verschwimmen lässt.

Haben wir uns so sehr verändert,
waren wir schon so lang getrennt,
dass uns die Stadt nicht mehr erkennt,
sie uns nicht mehr beim Namen nennt?
Ob unser Blick nicht mehr heiß brennt?
Sind unsre Augen so umrändert?

»Gedanken, halt! Wo denkt ihr hin?«
Noch kenn' ich, wenn ich Rundschau halte,
fast jeden Winkel, jede Spalte,
die Schlüppe, wo die Stimme hallte...
doch die Stadt ist nicht mehr die alte,
wie ich nicht mehr der Junge bin.

Ich geh auf Umwegen nach Hause,
Um, wie als Kind im Morgengraun,
An der Penne vorbeizuschaun.
Im Schulhof warten, kahl und braun,
Alte Kastanien hinterm Zaun
Stillschweigend auf die große Pause.

Der sonst noch leichte Schritt staucht schwer
die Schenktreppe hinab zu Tale;
der Schal legt sich mit einem Male
eng um den Hals als raue Schale;
und drunten wälzt die trübe Saale
ihr Wasser schäumend übers Wehr.

Die aufgewirbelt hellen Schäume
in ihrem muffig-süßen Duft
nach Moder und Chemie und Gruft
treibt der Wind durch die Straßenkluft,
wirft sie bunt schillernd in die Luft
und wie Lametta in die Bäume.

Am Weg der lichte Rosenhag
Entbietet herbstlich seine Grüße.
Uns führen tief bewegt die Füße
Quer durch den Krumbholz bis zur Röße.
Der kleine Buschberg beweist Größe
Und bringt die Siedlung an den Tag.

Der Weg führt uns in die Gemächer
der Kindheit heim aufs Kanapee;
im beschlagenen Glas dampft Tee;
die Schrankuhr tickt ihr eh und je...
draußen tapst schwerfälliger Schnee
auf Samtpfötchen über die Dächer.

Die uns so teure Jugend flieht
im Kommen und Gehen der Stare,
im Kommen und Gehen der Jahre,
im Kommen und Gehen der Haare,
im Flüstern alt gewordner Paare:
»Das ist das ewig alte Lied!«




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