DER  STARKE TOBAK  DES  MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann



PRESSE

BRASSENS

FESTIVAL

IMPRESSUM


   LIEDER und GEDICHTE
   von Ralf Tauchmann

    © Weitergabe und Veröffentlichung gern nach Rückfrage beim Autor



LIEDER - Inhaltsverzeichnis

besuch beim frühstück
osterreise
Weihnachtsmanns Klage
Wie sage ich's meinen Erben?
Die Ballade von der Made
Abschied von einem alten Freund
Till Eulenspiegel
frühlingslied
maskenball


 

G E D I C H T E
 

der trommler aus zinn
 

ratatapeng! ratatapeng!

der trommler meiner zinnsoldaten
hat jetzt genug von heldentaten,

ratatapeng! ratatapeng!

von hackenknalln und großappell,
von marschbefehl und hu'agebrüll,

ratatapeng! ratatapeng!

von stillgestann' und bartgezwirbel,
von säbelrasseln, trommelwirbel,

ratatapeng! ratatapeng!

von marschgeblas und schießgewehr,
von reih und glied und ruhm und ehr,

ratatapeng! ratatapeng!

von schützengräben und scharmützeln,
von schlachtgetümmel und gemetzeln,

ratatapeng! ratatapeng!

von heldentum und heldenmut,
von heidenangst und heldenblut,

ratatapeng! ratatapeng!

von den zerrissnen heldentoten
ohn' arme, därme, beine, hoden...

ratatapeng! ratatapeng!

verweint wirft er die trommel hin,
der kleine deserteur aus zinn.

ratatatata...                    streng

wird über ihn sofort beschlossen,
er werde standrechtlich erschossen!

peng!

dann, wenn sein lebenszinn verflossen,
in passender form neugegossen!

ratatata! ratatata! ratatata! - peng!

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BALLADE DER JUNGEN MÄNNER
IM FRÜHLING

Gebeugt unter kaltes Azur,
Begnügt sich mein Lebetag schon
Die greise Großmutter Natur
Mit reichlich karg bemessnem Lohn;
Denn es herrscht in Wald, Feld und Flur
Als gestrenger, grauser Patron
Im Mantel von weißem Velours
Der Winter hoch von seinem Thron!

Als Knäblein nahm er mild und pur
Mit Flockenschopf Zepter und Kron'
Und entlockte in reinstem Dur
Dem Nordwind auch manch süßen Ton;
Doch heut schwingt er die Knute nur
Und lässt die Nordwinde verrohn;
's ist wahrlich keine Sinekur':
Solch Winter hoch auf seinem Thron!

Drum erwehr' sich Landsknecht und Bur'
Des Stillstands und Frosts in Person,
Drum wehr' sich jede Kreatur
Gegen des Müßigganges Fron;
Mit Knüppeln und Knütteln auf zur
Allgewaltigen Rebellion:
Wir stoßen wie die Stiere stur
Den Winter hoch von seinem Thron!

Frau Fürstin, ich leist' jeden Schwur:
Wir dulden nun niemals mehr so'n
Grausiges Stück von Diktatur
Des Winters hoch von seinem Thron!
BALLADE DER ALTEN MÄNNER
IM FRÜHLING

Auf den Wiesen lodert's und brennt's,
Da das Jahr das Frühjahr gebiert
Und wie ein Lauffeuer der Lenz
Das Land mit Grün und Farben ziert,
Wo in üppiger Konkurrenz
Das Geschäft des Lebens floriert;
Doch was nützt dem Jahr die Lizenz...
Wenn's am End doch wieder gefriert?!

Was nützt all diese Vehemenz,
Mit der die Natur rebelliert,
Wenn der groß aufblühende Mensch
Im Frühjahrstrieb den Kopf verliert,
Wenn er in der Herde als Hengst
Durchs Land galoppiert und hell wiehert?
Was nützt Wallung des Temp'raments...
Wenn's am End doch wieder gefriert?!

Was nützt dieses Silbergeglänz,
Das auf allem Wasser brilliert,
Welches in der Wellen Getänz'
Den Schnee des Vorjahrs in sich führt,
Wo der Schnitter die scharfe Sens'
Schon heimlich am Halm ausprobiert;
Was nützt all das Glück des Moments...
Wenn's am End doch wieder gefriert?!

Mein Fürst, Erlauchte Eminenz,
Die Ihr meine Schritte regiert:
Was nützt tauendes Wasser... wenn's
Am Ende doch wieder gefriert?


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DER BACCHUSKNABE
(Sonett nach einem Gemälde von Guido Reni)


So sehet doch nur Säugling Bacchus, soeben

geboren von Zeus, schon die Ammenbrust schwänzen;
bestaunet die Äuglein, die weinglasig glänzen,
wo unterhalb glühende Pausbäckchen beben,

dieweil lorbeergleich herrlich prangende Reben
das genüsslich schlürfende Häuptchen umkränzen,
dem köstlichen Nektar die Götter kredenzen -
wie früh schon entdeckt seinen Sinn er im Leben!

Und während noch rot aus den greifschwachen Händen
dem Säufernas-Kerlchen mit trunkenem Blick
der Wein in den Mund wallt, zahlt mit Restbeständen

gemäß Jacques Rousseaus einst verheißenem Glück -- 
den Kreislauf zu schließen, das Werk zu vollenden --
der Natur er den Saft in natura zurück.
  KLEINE SONETTGALERIE MIT BILDERN

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DAS LACHEN

Das Lachen wird als Medizin
Sehr ähnlich einem Tee genossen;
Man nehm' den Schmerz, der uns verdrossen,
Zerrupf', zerteil' und trockne ihn.

Ward ihm so Trockenheit verliehn,
Wird mit den Tränen, die uns flossen,
Er letztmalig heiß übergossen;
Drauf lass' man ihn ein Weilchen ziehn.

Man sollte solch Tees vorm Servieren
Nicht zu stark süßen noch garnieren,
Da sie der Bitterkeit bedürfen;

Man gieß' ihn ab, füll' ihn in Tassen
Und trag' ihn auf, um ihn gelassen
In froher Runde laut zu schlürfen.

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ELEGIE FÜR EINEN ABGERISSENEN KACHELOFEN

Du tatest immer Deine Pflicht
In kalten Wintern ohne Wimmern;
Vergehst Du heute auch zu Trümmern,
Da schroff Dein Kachelauge bricht;

Erlischt Dein greises Lebenslicht
In letzter Glut ersticktem Schimmern,
Einstmals geschürt von Frauenzimmern,
So bin ich doch voll Zuversicht:

Dass mir aus Deinem Totenleibe
Als heimlich mir erworbner Schatz
Noch eine Deiner Kacheln bleibe,

Für die ich einen Ehrenplatz
Mir weiß und über die ich schreibe:
»Geklaut! Verflucht sei Ringelnatz!«

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IN MEINER WIEGE

In meiner Wiege war ich Kapitän·
Ich ließ meinen Blick im dschunkelnden Treiben
Des Schiffchens entschwebt übers Wasser gehn·
Um mir dessen Ruhe einzuverleiben
Und in Pfützen· Tümpeln· Teichen und Seen
Stillschweigend mich und mein Schiff einzuschreiben
In meiner Wiege war ich Kapitän

Alles umher drehte sich um mein Schiff:
Der Wind· der am Ufer die Büsche bauschte·
Das heimliche Huschen und Haschen im Schilf·
Der Flügelschlag· der die Luft leis durchrauschte·
Die Sonne· die zwischen Teichröslein schlief·
Das Wasser· das mit den Bootsplanken plauschte
Alles umher drehte sich um mein Schiff

Ich war der einzige Herrscher an Bord
Über Sommerhitze wie Sommerfrische·
Ich war der gütigste Herrscher vor Ort·
Die Möwen· Mücken· Libellen und Frösche
Gehorchten mir alle ohne ein Wort·
Sogar die im Wasser maulenden Fische
Ich war alleiniger Herrscher an Bord

Ich wagte mich in großer Sicherheit
Hinaus auf die gleißenden Wasserflächen·
Um mir mit luftigen Brisen von Zeit
Zu Zeit erfrischende Kühlung zu fächeln·
Wo knicksend aus grünem bauschigem Kleid
Unbrechbare Rosen dornenlos lächeln
Ich wiegte mich in großer Sicherheit

Ich staunte bäuchlings mit weit offnem Mund
Gleich Fischen und Fröschen· die Fliegen fingen·
Ich lehnte den Kopf übers Wasser und
Stupste die Röslein zur Seit mit den Fingern·
Sah an ihnen vorbei auf feuchtem Grund
Braunschlierende Gräser und Kräuter schlingern
Ich staunte bäuchlings mit weit offnem Mund

Ich war ein Regent auf schwankendem Thron·
Was immer die Augen zum Ziel sich nahmen·
Sobald ich es sah· gehört' es mir schon·
Wortlos trug alles ringsum meinen Namen·
Bis jäh in schnurgerader Formation
Am Horizont Segler zum Vorschein kamen
Ich war ein Regent auf schwankendem Thron

In meiner Wiege war ich selbst der Herr
Über hier und dort und hüben und drüben·
In meiner Wiege war ich selbst der Herr!
Nichts konnte mein stilles Wässerchen trüben·
Bis plötzlich die Segler mir kreuz und quer
Wirreste Zeichen ins Kielwasser schrieben·
In meiner Wiege... wie lang ist das her?

Die Stille wurd jählings schrilles Signal·
Mit gellenden Schreien dem Tode trotzend·
Aus der Fülle erhob nackt sich die Zahl·
Aus allem wurd zwei· wurd drei· wurd ein Dutzend·
Millionen· Milliarden - mit einem Mal
Mein Reich mit meinem eignen Bild beschmutzend
Aus der Fülle erhob nackt sich die Zahl

In meiner Wiege war ich Kapitän
Auf großer Fahrt fern des Guten und Bösen·
Plötzlich sah ich mein Bild im Teich entstehn
Und konnt' meinen Blick davon nicht mehr lösen·
Ich bin vom ewigen Kommen und Gehn
Dieser Genese nie wieder genesen
In meiner Wiege war ich Kapitän

G e w e s e n

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DER NACHTVORHANG

Nun geht der Nachtvorhang herunter,
Doch bitte bette sich wer kann.
Gähnend genieß ich dann und wann
Kurz das unheimlich stille Wunder,
Von meiner Reihenloge munter
Zu schaun, als ging mich nichts 'was an;

Als säh ich nicht dort oben neben
Dem schicksalsgleichen Orion
Mein Unbeschwertsein im Ballon
Nebst Jugend schwerelos entschweben,
Ich - dem die Füß' am Boden kleben,
Wenn auch erhöht auf dem Balkon.

Oh, gleichsam ihm nachsteigen dürfen!
Schon müsst' ich (er ist reichlich fern)
Nicht nur Ballast (so schreibt Jules Verne),
Sondern die Gondel mit abwerfen,
Dann krallt' ich mich ins Netz der Nerven-
stricke, die mich gen Himmel zerrn,

Mich schlangenbissig aufwärts ziehen,
Wo alle Schwere jäh verrinnt.
Ich würd durch Lebenssand und Wind
Und Sterne in die Galaxien
Endloser Universen fliehen,
Ins Sternbild Nie-Gestorbnes-Kind.

Ein Doppelstern mit zwei Gestalten,
Die ewig beieinander ruhn.
Ewiges Kind wäre ich nun,
An meiner Hand den ewig alten
Jules Verne mit weißem Bart und Falten
Und Schlurfschritt in ungleichen Schuhn.

Ich wähn' mich auf der Weltenreise
Des Servadac, doch wär mein Glück
Der Gallia abgebrochnes Stück...
Da holt mich Weltallbummler leise
Jäh Deine Hand auf liebste Weise
Auf unsere Erde zurück;

Zurück zu Erdenhimmelbetten,
Zu vielleicht schon vorletzter Ruh.
Zuweilen rütteln in der Truh
Die müdgetanzten Marionetten
Noch abends kurz an ihren Ketten,
Dann fall'n ihnen die Augen zu...

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DER ALTE FRIK UND DAS KARPATENSCHLOSS

Nicht nur allein im Fuß die Schmerzen;
Die Sehkraft junger Tage schwindet,
Als ob das Gaslicht und die Kerzen
Mit ihrem Ruß das Sichtfeld schwärzen.
Der Autor altert. Er erblindet,
Das stete Schreiben höhlt die Sicht!

Des Blickes Trübung aber mildern
Konturenreiche Fantasien
Des innren Geists mit klaren Bildern;
Die Feder kratzt, sie uns zu schildern...
So sieht das Auge Schafe ziehen
Auf transsylvanischem Weidegrund.

Erbärmlich arm, erbärmlich schäbig
Lebt Frik, ein Schäfer fremder Herde;
Sein Heim: ein Krötenloch! Wie leb' ich
Dagegen gut!... Und doch: was gäb' ich
Nicht drum, hätt' ich hier auf der Erde
Sein ungetrübtes Augenlicht!

Welch Fernsicht! Selbst noch über Meilen
Hinweg erkennen seine Blicke,
Die weit weit hinten auf den steilen
Gebirgserhebungen verweilen,
Des alten Burgfrieds Mauer und Brücke...
So spricht er zum Karpatenschloss:

»Du alte Burg auf schwachen Festen
Bist deutlich nicht mehr ganz bei Zinnen;
Die Zeit, mein Gott, hält Dich zum besten,
Sie nagt an Deinen Überresten,
Sie sät in Fugen Dir und Rinnen
Wucherndes Gras und sprengt den Stein.

Ich seh, vorm Himmel klar umrissen,
Auf der Bastei, oh Burg, die Buche
Tiefschwarz verkrümmt, verknorrt, verschlissen
Mit nur drei Ästen noch... Wir wissen,
Dies heißt gemäß dem alten Fluche,
Dir bleiben nur drei Jahre noch!

Was meinst Du, Burg, wie schnell drei Jahre
Im Uhrenglas Saturns versanden;
Die Zeit, die ach so sonderbare
Verderbliche, weil schöne Ware,
Ist, eh man sich's versieht, zuschanden,
Ist mir nichts Dir nichts Schutt und Staub!

Schau mich an, wie im Flug vergingen
Bei mir gar fünfundsechzig Lenze,
Die eben noch so neuen Schwingen
Beschnitt die Zeit mit scharfen Klingen;
Ich legte schon so manche Kränze
Für weitaus mehr als nur drei Jahr'!

Und drei nur sind Dir noch gegeben,
Mit Riesenschritten naht Dein Ende!
Drei Jahr noch währt Dein Burgenleben,
Dann liegst Du schon zur Erde eben,
So will's die uralte Legende,
Und bist nicht mehr, Karpatenschloss!

Das letzte Zeugnis einstiger Feste
Und einst durch Deine Korridore
Wild tanzender, fröhlicher Gäste,
So deuten es die Buchenäste,
Begraben stürzend Deine Tore
Und alles wird vergessen sein!

Von altem Glanze überdauern
Nur Haufen Schutts, nur Trümmerberge;
Ach, kaum ein Mensch wird um Dich trauern,
Kaum eine Seele Dich bedauern
Auf der jung nachdrängenden Erde;
Du alte Burg, Du dauerst mich!«

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Ein Herbsttango


DIE STADT


... teilt sich vor unsrem Schritt; sie zieht
mit ihren Giebeln, Märkten, Brücken
rechts, links vorbei an unsren Blicken
und schließt sich wieder dicht im Rücken;
beengt hüpft unser Herz auf Krücken
durch aufgegebenes Gebiet.

Im Brustkorb kauernd, eingeigelt,
groß von Erinnrung überschwemmt,
klopft zaghaft es ans Unterhemd,
wo's zwischen Mut und Wehmut klemmt,
wo's sich zwischen die Rippen stemmt
und wo's sich kläglich eulenspiegelt.

»Es klopft. Wer da? Ach du, mein Herz!«
Der Schelm in uns versucht mit Mühen
das dicke Fell uns abzubrühen,
doch in die Wangen, die im frühen
und frischen Winde glutrot glühen,
streut eine Prise Salz der Herbst. ..


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HERBSTLIED

Ein frischer Wind spielt in den Zweigen;
Das Jahr ist alt und reich und taub.
Klein-Hagen lässt die Drachen steigen;
Groß-Siegfried stapft durch welkes Laub.

Wildgänse zogen aus, den Süden zu erobern,
und glitten wie ein V stolz Richtung Horizont;
tief hinter ihnen hat ein Dächermeer zinnobern
mit glitzerndem Geblink im Spätherbst sich gesonnt.

Noch sommertrunken schien die Sonne, schwankend brannte
sie ihre Glut tief ins Gewand des Himmels ein,
der nüchtern, kalt und klar den blauen Bogen spannte,
dem Pfeil der Gänse Kraft zum Scheiden zu verleihn.

Die Dächer, um den Zug der Gänse zu erreichen,
durchfunkeln spiegelhell den sonnig-kalten Tag,
jedoch die himmelan hoch aufgeworfnen Zeichen
pralln wie Geschosse ab vom fernen Flügelschlag.

Auch mein Dach oben funkt wild in panischem Blinken
mein »es ... oh, es wird Herbst!« den Gänsen hinterher,
die gnädig aus dem Blau des Himmels niederwinken,
als sei's ein Lebewohl auf Nimmerwiederkehr!

Der Herbst zieht Fäden und fragt, aufgelöst im Hemde,
Was ist das für ein Weh? in seiner lieben Not.
Die Jugend schreit: Das ist das Fernweh hin zur Fremde!
Das Alter spricht: Das ist das Heimweh her zum Tod!

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SCHNEE IN DIESEM JAHR

Vorsänger:

Verkehr verebbt, die Stimmen stocken;
versprengter Wind lärmt durch die Gassen;
vereinzelt klingeln Ladenkassen;
von ferne läuten schon die Glocken;
sie rufen leis auf zum Besinnen.
Die Häuser stehn verschnupft im Nassen
und fragend tropft's aus allen Rinnen:
Wo sind die weißen Wirbelflocken?
Wo bleibt die heitre muntre Schar
der weiß berockten Tänzerinnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?


Nirgendwo Jauchzen und Frohlocken;

die Straßen sind wie leergeblasen;
nicht einmal plattgedrückte Nasen
von Buben, die in Stuben hocken;
die bö'gen Winterwinde bocken...
sie fegen mild und ausgelassen
der alten Burg die hohen Zinnen
und die Türme der Kirche trocken.
Wo sind vor des Winters Altar
die weissagenden Priesterinnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?


Das Jahr belud Kähne und Koggen

mit Waren aller Art in Massen,
so viel die Schiffsbäuche nur fassen:
Mais, Gerste, Hafer, Weizen, Roggen,
Brot, Fleisch nebst Wein von Winzerinnen,
porzellanene Teller, Tassen;
das Jahr bracht' seit seinem Beginnen
mit Hosen, Röcken, Hemden, Socken
Reichtum in Gold und Seide dar,
doch denkt noch nicht ans weiße Linnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?

Wo ist der schicksalhafte Rocken,
mit dem die Parzen unser Haar,
zu silbernem Lametta spinnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?


Chor der Parzen:









Wo bleibt die heitre muntre Schar
der weiß berockten Tänzerinnen
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?










Wo sind vor des Winters Altar
die weissagenden Priesterinnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?










Reichtum in Gold und Seide dar,
doch will noch nicht ins weiße Linnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr?

Wo ist nur unser alter Rocken,
mit welchem wir das Menschenhaar
zu dünnen Silberstreifen spinnen?
Wo bleibt der Schnee in diesem Jahr

 
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winter-miniatur

die ersten weißen flocken fallen
in weich verpackten eiskristallen;
der winter schleicht als katze
auf samtig weicher tatze
mit eingezognen krallen...

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Gitter

Das stählerne Längliche,
in sich selbst Befängliche,
so Körperlich-Bängliche
umschließt das Vergängliche.

Das körperlos Fließende,
die Stähle Umgießende,
nach draußen Entschwindende
erschließt das Verbindende.

Das ins Freie Sehende,
das Gitter der Käfige
ohne uns Durchgehende
verschließt uns das Ewige.
 

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die sanduhr von delphi


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L I E D E R

besuch beim frühstück

wie ich mich grad des grills bediene·
denk ich: verflucht! hier brummt doch was!
schau halb im schlaf noch zur gardine·
ein heller fleck? was soll denn das?!
oh sieh da! eine honigbiene!

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
lausebübin
pollendiebin
verehrte flora-kupplerin

was sehen meine müden augen?
dass du auf der gardine sitzt!
kannst du nicht sehen· dass zum saugen
die kelche· die du leeren willst·
da sie gemalt nur sind· nicht taugen?

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
kleiner summkopf
kleiner brummtopf
nektar-alkoholikerin

indes· mein summchen· es wär schade·
sollst du umsonst gekommen sein·
summa summarum: du ich lade
ganz herzlich dich zum frühstück ein·
zu drei- bis vierfruchtmarmelade

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
honigtäubchen
blütenstäubchen
hochwohlgeborne dienerin

na los· mein bienchen· summ ein bissel
näher zu mir 'ran· mach's dir bequem
und tauche deinen nektar-rüssel
so lang und tief dir's angenehm
in meine marmeladenschüssel

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
du vernaschte
schleckerkatze
hochkönigliche sieglerin

mein brummchen· ach!· ich seh's mit freuden·
dir schmeckt es bienenköniglich·
doch einen wunsch bevor wir scheiden:
du· lass mich ohne stich im stich!
den längren arm hab ich... von uns beiden

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
du canaille
mit wespentaille
du schmalbrüstige kriegerin

na guten flug! merk dir: hier wohn ich·
hast du tein tagewerk geschafft·
genug gesammelt· so belohn mich
bitt schön für meine gastfreundschaft·
ich hab zwar milch doch keinen honig

stachelbesetzte tigerin
gelb-schwarz berockte fliegerin
amazönchen
morgenschönchen
du müdigkeitsbesiegerin

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osterreise

die häuser ringsum standen schweigend·
mit nackten fenstern auf sie zeigend·
als sie vom brückenkopf verschwand
und lautlos in die tiefe sprang·

wo zwischen betonierten säulen·
durchschäumt von aufgequirlten fäulen·
ein fleckchen klaren wassers tief-
verzweifelt sie beim namen rief·

der wind wollt hastend sie erreichen·
den plan aus ihrem kopf zu streichen·
indes der straßenlärm verschlang
den nahen osterglockenklang·

so ward des mädchens todeswelle
vorübergehend haltestelle
für charons ururalten kahn·
der zufällig vorüberkam·

mit seiner stake hievte leise
der fährmann die durchnässte leiche
auf sein gefährt· mit ihrem hut
markierte er die stelle gut·

da für das junge menschenwesen
der tod nicht angemahnt gewesen·
wurd sie ganz ohne fahrpapier
des charons blinder passagier·

kein obolus· der ihm gebührte·
fand sich bei ihr· und dennoch führte
der totenmann sie schattenwärts·
als schlüg in seiner brust ein herz·

wo schweigend sie vorüberfuhren·
drang klagend kuckucksschrei aus uhren
und blickten hinter fensterglas
zyklopenaugen bläulich blass·

als man des mädchens hut gefunden·
war charon längst mit ihr entschwunden·
und der fluss wälzte voll und schwer
sein wasser dröhnend übers wehr·

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WEIHNACHTSMANNS KLAGE

Frau Holle knausert, geizt und spart
Und Schnee liegt nur in meinem Bart;
So wat' ich patschend durch den Tann,
Ich armer Weihnachtsmann!

Mein Rentier hat sich nicht rentiert,
Es ist im Matsch mir desertiert;
Nun zieh ich selber das Gespann,
Ich armer Weihnachtsmann!

Am Schlitten hab ich über Nacht
Statt Kufen Räder angebracht,
Damit ich weiter ziehen kann,
Ich armer Weihnachtsmann!

Die Kinder spotten naseweis:
»He, Jungs! Seht da den Tattergreis
Mit Spielzeugschlitten hintendran!«
Ich armer Weihnachtsmann!

Mit Fingern zeigen sie auf mich,
Und nachher stehn sie sicherlich
Vor falschen Weihnachtsmännern stramm,
Ich armer Weihnachtsmann!

Hab Mandeln, Nüsse und Korinth
Für jedes liebe art'ge Kind;
Kundenlang stand ich dafür an,
Ich armer Weihnachtsmann!

Doch nirgends öffnen sich die Türn,
Man ließe mich eiskalt erfriern;
Zum Glück ist der Dezember zahm...
Ich armer Weihnachtsmann!

Wo ich letztendlich angeklopft,
Schlug man die Tür mir vor den Kopf;
»Du Dreckschwein bist ja voller Schlamm!«
Ich armer Weihnachtsmann!

»Wir kaufen nichts!« rief die Mama;
»Du Bettelmönch!« schalt der Papa;
»Dich gibt's nicht!« schrie der Sohn mich an,
Mich armen Weihnachtsmann!

So hab am End ich tief gekränkt
Die Mandeln auf der Straß' verschenkt,
Korinthen, Nüsse, Marzipan...
Ich armer Weihnachtsmann!

Doch die unechte Konkurrenz
Wollt' misstrauisch meine Lizenz
Und winkte das Gesetz heran.
Ich armer Weihnachtsmann!

Ein Polizist, der offenbar
Auch Kaiser noch von China war,
Zog mit Macht mich in seinen Bann,
Mich armen Weihnachtsmann!

Nun sitz ich und form leiderfüllt
Ein Menschlein nicht nach meinem Bild;
Rache soll süß sein dann und wann...
Ich armer Weihnachtsmann,

Ich knet' aus unverschenktem Rest
Mir Schokoladenhüter des
Gesetzes, die man einwickeln kann,
Ich armer Weihnachtsmann,

Ich armer alter Weihnachtsmann!

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WIE SAGE ICH'S MEINEN ERBEN?
[ca. 1985]

Ich hör's schon zischeln, tuscheln, tratschen, raunen,
Wenn ich erst hundertfünfzig bin.
Die Welt wird Riesenneubauklötzer staunen:
Wo will der Bursche bloß noch hin?
Die Wälder überkommt ein kühler Schauer
Beim Anblick meines Rauschebarts;
Die ält'sten Eichen werden sauer
Und ärgern sich ob meiner Greisheit schwarz!

Doktoren aller Herrn und Damen Länder,
Wohlwissend um die Sterblichkeit,
Kommen zu mir ins Altersheim geschlendert,
Vereint im Hippokrates-Neid;
Im Wettstreit um die beste Diagnose
Horchen und klopfen sie mich ab
Und gehen, falls sie können, mit Neurose
Ganz ratlos dann am Stock des Äskulap.

Staunend macht mir die Presse wohlgesonnen
Das Blatt vorm Mund ein Spältchen auf;
Rüstig marschier ich durch Zeitungskolonnen,
In begradigtem Lebenslauf;
Er steht dort in den rosaroten Zahlen,
Fast böte man ihm national
Einen Gemeinplatz in den Weltannalen,
Doch dafür war er nie genug anal.

Doch stutzt man, den Nachahmungstrieb zu zügeln,
Die öffentliche Meinung sacht
Ganz halbwahrheitsgetreu mit Entenflügeln;
Ich mein' die Meinung, die man macht.
Man dirigiert den Spatzen auf den Dächern
Die Pfeifkonzerte gegen mich:
Ich sei die schlimmste Sorte von Verbrechern,
Jene, die selbst Naturgesetze bricht!

Die Klatschbasen sind sogleich unverhohlen
Besorgt um mein sterbliches Wohl;
Sie würden gern den Tod ins Haus mir holen,
Da ich ihn mir nicht selber hol';
Sie winden plappernd ihre Kaffeekränze
Und schmücken, wenn der Tod mir sagt:
»Hans-guck-in-die-Gruft, Freund, mit dir ist Sense!«
In froher Trauer damit meinen Sarg.

Mir klapprig-altem Hasen ist der Trubel
Am Ende sicher ganz egal;
Doch niemals ist man gänzlich ohne Skrupel,
Schon heut frag ich mich manchesmal:
Wie sage ich's denn dann nur meinen Erben,
Die schleichend längst am Bettrand stehn:
Ich wollte Frankreich sehn und sterben,
Nun werdet wohl auch Ihr noch vor mir gehn!

Geleit auf die Zukunft
[Mein Optimismus kennt schier keine Grenzen]

Hat man mir schließlich noch die Chance gegeben,
Wohl hoffend, daß ich sterben werd',
Denk ich mir: Frankreich sehn und leben
Ist eigentlich ein kleines Sprichwort wert!

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DIE BALLADE VON DER MADE

Eine grau bis schwarz gefärbte,
Unscheinbare, leicht verderbte
Ausgewachsne kleine Fliege
Kam hochschwanger tief im Bogen
Von den Wiesen her geflogen,
Sparte sich den Kauf der Wiege
Und setzte die frische Made
Im Eikörbchen, ei! wie schade!,
Aus im nahgelegnen Dorfe,
Vogelfrei als Vogelfutter,
Dann kratzte die Rabenmutter
Gradenflugs die nächste Kurve,
Verschwand auf Nimmerwiedersehn
Im Flügelumdrehn.

Doch zum Glück gab's einen großen
Apfelbaum als Obdachlosen-
heim für verlassne Insekten,
Dessen Äste voll Erbarmen
Sich beschützend nach dem armen
Kleinen Findelmädchen streckten;
Und der Obstbaum hat der Larve
Auch erlaubt, ihn bei Bedarfe,
Gern als Stammbaum anzugeben,
Sie durft' in Geäst und Blättern
Bis hin zu den Stellen klettern,
Wo die reifen Früchte schweben,
Und suchte sich ein Apfelhaus
Als Wohnstätte aus.

Sich in diesem wenn auch schlichten
Häuschen häuslich einzurichten,
War fürwahr kein Zuckerschlecken,
Gab's in den vier runden Wänden
Arbeit doch an allen Enden,
Allen Ecken zu entdecken;
Heiß gepackt vom Einzugsfieber,
Stürzte sie sich gleich kopfüber
In die Arbeit ganz beflissen,
Hatte zwar beim Um-Aus-Bauen
An dem Fruchtfleisch stark zu kauen,
Jedoch bald hindurchgebissen,
Bezog sie überglücklich ihr
Kerniges Quartier.

Aus dem Fenster des Gebäudes
Schaute sie nun stolz und freudes-
trunken sah auf Blumenwiesen
Sie tief unter ihrem Blätter-
dach zwei kunterbunte Schmetter-
linge sich im Winde wiegen.
Wie gern würd' sie gleich den Faltern
Schillernd durch die Lüfte flattern
Und von süßem Nektar leben!
Es fraß sich dem armen Würmchen
Der Wunsch tief ins Madenhirnchen
Und blieb zähflüssig drin kleben;
So lud sie die zwei Falter ein-
fach zum Richtfest ein.

Unbeschwert und guter Dinge
Schwangen sich die Schmetterlinge
Zum Gastgeber in die Höhe,
Nahmen freundlich ein paar Proben
Süßen Nektars mit nach oben,
Dass ein schönes Fest entstehe;
Wahrlich, solch ein Zechgelage
Hörte man nicht alle Tage,
Laut war das Kerbtiergekicher;
Vom schaukelnden Apfel fielen
Ausgetrunken all die vielen
Blütenkelche, Blütenbecher;
Wie Gold schwebte vom grünen Laub-
dach der Blütenstaub.

Neidisch, da nicht eingeladen,
Fingen im Gezweig zwei Raben
Plötzlich lauthals an zu krächzen;
Sie gebrauchten raue Worte,
Warn Großschnäbel jener Sorte,
Die nach schwachen Opfern lechzen.
»Für dich schnöden Abfallfresser
Wär ein Pferdeapfel besser!«
Hörte man sie grausam lachen;
Mutig aber rief die Kleine:
»Von euch Vögeln lass ich meine
Wohnung mir nicht madig machen!
Wir sehn noch, wer als letzter lacht!
Vorerst gute Nacht!«

Maßgeschneidert auf ihr Leibchen
Strickte gähnend sie ein Kleidchen
Für die Nacht, die angebrochen,
In welches die stark erschöpfte,
Müde Made schläfrig schlüpfte,
Um den Raben klarzumachen:
»Werd ich erst gleich Schmetterlingen
Mich hochauf zum Himmel schwingen,
Wird der Hohn euch schon vergehen!«
Doch dies gab der Spottgebärden
Nur noch mehr: »Hat man auf Erden
Maden jemals fliegen sehen!?
Und wenn, erlaubt dies die Natur
Dir als Fallobst nur!«

Zornig schlug der Baum den bösen
Krächzern ohn' viel Federlesen
Glatt sein Blattwerk ums Gefieder.
»Ihr vermaledeiten Nebel-
krähen, haltet eure Schnäbel!
Müsst ihr Spötter immer wieder
Jene Wesen, die tief drinnen
Traum und Wirklichkeit verspinnen,
Mit Hohn und Verachtung strafen?!
Wer weiß, es geschehn mitunter
Doch noch Zeichen und auch Wunder;
Lasst nun unser Püppchen schlafen!
Ich fordre Ruhe im Geäst!
Schnäbel zu!... und pssst!«

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ABSCHIED VON EINEM ALTEN FREUND

Hier steh ich nun vor dem Bücherregal,
Treuer Gefährte aus Kindertagen,
Um Dir ein letztes Lebwohl zu sagen,
Glaub ja nicht, mein Freund, das wär mir egal.
Du trugst als Kind mich über den Fluß
Durch eine Welt voller Abenteuer,
Durch Himmel, Wasser, Erde und Feuer,
Warst mein Heiligtum, mein Ralfophorus.

Im Alter meiner Warum und Wieso
Schürtest Du mein großes Kinderstaunen
Mit exotischen Floren und Faunen,
Mit liebenswürdigen Freunden en gros;
Du führtest mich zum Weltbummel aus,
Was für außergewöhnliche Reisen!,
Du stahlst Dir bunte Steine von Weisen
Und bautest uns draus ein Landkartenhaus.

Ich konnte mich, nahmst du mich bei der Hand,
Selbst bis zur Mitte des Erdballs wagen,
Ich trottete Dir in achtzig Tagen
Um die Welt hinterdrein von Land zu Land;
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Wiegten wir zwei uns im Kinderreigen;
Ich ließ mir gern die Welt von Dir zeigen,
Wog auf Papier sie doch nur halb so schwer!

Du faltetest Dein weißes Schreibpapier
Zu Segelschiffen, Tauchapparaten,
Vollgepfropft mit Genies und Piraten,
Und ließest sie schwimmen bis her zu mir;
Ich sprang an Bord und wurd dafür zum Lohn
Ein Kapitän von nur fünfzehn Jahren,
Ich hab so alle Meere befahren,
Und zwei Jahre Ferien, wo gab's das denn schon?

Du schufst für Deine neuen Robinsons
Geheimnisvoll-schöne Inselreiche,
Du spieltes Antifer hübsch üble Streiche,
Du spucktest papierne Kugeln zum Mond;
Aus Tinte formtest Du am Bosporus
Starrköpfig trotzende Kerabane,
Du tauchtest mir in die Badewanne
Als Plansch-Entchen des Nemos Nautilus.

Schließlich hab ich, ahnte nichts von Gefahr,
(ach! ich glaub, es musste so kommen!)
Eins Deiner Bücher zur Hand genommen,
Das die Offenbarung einst für mich war.
Oh! Welch Enttäuschung! Ich fand mich nicht mehr,
Nicht auf den Inseln unsres Planeten,
Nicht auf dem Mond, noch auf dem Kometen,
Noch tief im Erdball, geschweig' denn im Meer

Hier steh ich nun, wie all dem wohl auch sei,
Um mir ein Buch für die Nacht zu wählen;
Du siehst ja selbst, was soll ich's verhehlen,
Wieder einmal griff ich an Dir vorbei!
Das tut im Herzen weh, was ich hier tu,
Schwer ist es, Freunden Lebwohl zu sagen,
Doch muss ich wohl den Abzählreim wagen:
Eene meene muh, und raus bist Du!

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TILL EULENSPIEGEL

    Die Sonne vorm Bug ist am Untergehn.
            Die Menschen an den Ufern
            Winken und rufen:
    »Habt Ihr Till Eulenspiegel gesehn?«

    Till Eulenspiegel? Ob ich wen gesehen hab?
            Ach ja, plötzlich fallen
            Erinn'rungen aus allen
            Wolken zu mir herab:
Wieder ließen Deutsche sich zu Pleiten leiten,
Von neuen Führern nasgeführt;
Diesmal wurd ein Bücherweltgebäude Beute
Von Zwergen, die's für sich ungerührt eingerührt;
    Die Elbe löffelt trüb das Abendrot...

Wenn ich nur mit der Faust auf die Epoche poche,
Wenn ich nur stur in einer Tour
Scheiterhaufen fürn Rest der Geschichte schichte,
Dann scheitre ich am End im eignen Hafen nur;
    Der Horizont raucht und qualmt wie ein Schlot...

Um ein Haar dürften sich heut die Obristen brüsten,
Es hat nicht viel Befehl gefehlt,
Dürften im Ehr'nkränzchen auf Patronen thronen...
Wehe dem, der auf dem inn'ren Schlachtfeld fällt;
    Der Horizont loht rot und verroht...

Wer weiß, wo all die alten Stalinisten nisten,
Die das Volk verfolgt und die die Macht gemacht;
Wir verdanken schöne neue Weltruinen ihnen,
Da sie stets stur nur bis zum eignen Dach gedacht;
    Im Kielwasser wogt ein Teppich von Kot...

        Rohre weinen gelbe

        Dicke Tränen zur Elbe:
        Eulenspiegel ist tot!
        Die Schiffssirenen
        Heulen und dröhnen:
        Eulenspiegel ist toooooot

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frühlingslied
 

der frühling hat
den winter satt
und jagt ihn pat-
zig aus der stadt
ich halt ihm glatt
die stange
der winter war
in diesem jahr
zu sonderbar
nicht eiskalt zwar
jedoch fürwahr
zu lange

das osterfest
ist winterfest
und bringt den rest
der weißen pest
in unsrem nest
in nöte
es fließt ihr blut
in heller flut
das gibt uns mut
und tut uns gut
ich zieh den hut
vor goethe

zwar deckt noch der
märzhimmel schwer
und geigenleer
ein wolkenmeer
über die er-
ste sonne
die heimlich im
verborgnen glimmt
doch bald schon schwimmt
sie ganz bestimmt
im regen in
der tonne

der kachelo-
fen fastet froh
denn wir sind oh-
ne kalten po
vorbei das koh-
lentragen
vorbei der graus
wo mann und maus
in jedem haus
tagein tagaus
den ofenschmaus
beklagen

vorbei das leid
der winterzeit
das dicke kleid
weicht hilfsbereit
ins eck der klei-
dertruhe
und als ersatz
für stiefelschaft
mit pelzbesatz
bringt man ratz batz
die frühlingshaf-
ten schuhe

in windeseil
hält amor pfeil
um pfeil wie veil-
chensträuße feil
ein weidmannsheil
dem schützen
der angelang-
te pfeil verlangt
daß wir uns krank
nun nächtelang
am weidmannsdank
ergötzen

mir steht der sinn
nicht nach gewinn
geldgierig bin
ich zwar nicht, in-
des trag ich in
den taschen
falls auf dem feld
ein kuckuck gellt
nun stets ein geld-
stück das nicht fällt
'nen kleinen güld-
nen groschen

noch brüllt der wind
recht kühl gestimmt
der nächste win-
ter kommt bestimmt
halt er geschwind
den schnabel
sonst kenn ich kein
pardon mehr - nein!
und schlag ihm sei-
nen brauskopf ein
wie einst der kain
dem abel

der winter wär geschafft
er kommt in frühlingshaft
da mag sich der april
winden wie er will

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maskenball
 

»maskenball,
unter all
den masken ich;
als pirat
tu ich grad
meinem gesicht
heut alle erdenkliche ehre!
ach, wenn ich's manchmal doch nur wäre!

ei juchhe!
zu der fee
mit quarkgesicht,
liebe leut,
gehör heut
ausnahmsweis' ich,
der fee dort in den schwarzen farben,
der mit den zuckerwasserhaaren.

überall
auf dem ball
hör ich es schrei'n:
jene schö-
ne waldfee
- das kann nicht sein! -
sei eine der freibeuterbräute!?
nein! entern! auf zur leichten beute!

ein kerl kommt,
verdammt! prompt
im sonntagsstaat,
lacht mich an,
führt sie dann,
- »selber pirat!« -
zum tanz, um, ohne sich zu schämen,
die faschingsfee mir wegzunehmen!

bitte sehr,
führe er
zum tanze sie,
denn die fee
mir wegneh-
men kann er nie!
feen sind weder kühe noch kälber;
sie gehörn immer noch sich selber!

tja, als see-
räuberfee
gefiel sie mir
besser als
an dem hals
des andren hier;
die bücherweisheit gilt noch heute:
es machen kleider leider leute!

maskenball,
unter all
den masken ich;
als pirat
tu ich grad
meinem gesicht
heut alle erdenkliche ehre!
ach, wenn ich's manchmal doch nur wäre!«


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