DER  STARKE TOBAK  DES  MONSIEUR BRASSENS
Georges Brassens in deutsch -- übersetzt und gesungen von Ralf Tauchmann



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LE FANTÔME DAS GESPENST

Auszug Französisch -- Deutsch -- komplett auf http://www.myspace.com/brassensindeutsch

Eines der interessantesten Lieder von Brassens überhaupt, wo er verschiedene Themen aufgreift, die in all seinen Liedern immer wiederkehren: Mann und Frau, das Verbindende der Generationen, die christliche Prägung der europäischen (hier: französischen) Kultur mit ihren griechisch-römisch antiken Wurzeln... Dieses Lied macht die für Brassens typische kunstvolle Verwendung der Sprache deutlich. Das »Spiel mit den Wörtern« ist bei Brassens nicht einfach Wortspiel, sondern weiterführend vor allem ein Denkspiel, ein Spiel mit der Logik der Begriffe. eine Freude am sinnstiftenden Denken. Brassens selbst dazu:

»Man hat mir meine Formstrenge vorgeworfen, aber erst die Form ergibt den Sinn. Als ich das Lied 'Der schlechte Ruf' geschrieben habe, habe ich im Laufe der Zeit Wendungen notiert, die jedes Mal von selbst zu Gedanken führten. Heute suche ich noch mehr als früher. Ich verwende immer das genaueste Wort, ich probiere zehn Wörter aus, bis ich das einzig passende Wort finde. Ich schreibe pro Lied zwei, drei Hefte voll.«

Das Lied vom Gespenst "spricht hier Bände". Es seien nur ein paar Beispiele herausgegriffen:

C'était tremblant, c'était troublant,
C'était vêtu d'un drap tout blanc,
Ça présentait tous les symptômes,
Tous les dehors de la vision,
Les faux airs de l'apparition…
En un mot : c'était un fantôme.

A sa manière d'avancer,
A sa façon de balancer
Les hanches quelque peu convexes,
Je compris que j'avais affaire
A quelqu'un du genr
= que j'préfère,
A un fantôme du beau sexe.





« Je suis un p'tit poucet perdu,
Me dit-ell' d'un= voix morfondue,
Un pauvre fantôme en déroute.
Plus de trace des feux follets,
Plus de trace des osselets
Dont j'avais jalonné ma route !

[...]

« A l'heure où le coq chantera,
J
=aurai bonn= mine avec mon drap
Plein de faux plis et de coutures,
Et dans ce siècle profane
Les gens ne croient plus guère à nous,
On va crier à l'imposture. »
 

[...]

Mon Cupidon qui avait la
Flèche facile en ce temps-là
Fit mouche et le feu sur les tempes.
Je conviai, sournoisement,
La belle à venir un moment
Voir mes icônes, mes estampes...

« Mon cher,
dit-ell', vous êtes fou.
J'ai deux mille ans de plus que vous...
C Le temps, madam', que nous importe... »
Mettant le fantôm= sous mon bras,
Bien enveloppé dans son drap,
Vers mes pénates je l'emporte.


Eh bien, messieurs, qu'on se le dis'
Ces belles dames de jadis
Sont de satanées polissonnes,
Plus expertes dans le déduit
Que certain's dames d'aujourd'hui,
Et je ne veux nommer personne.


Au p'tit jour, on m'a réveillé,
On secouait mon oreiller
Avec un
= fougue plein= de promesses,
Mais, foin des délic's de Capoue !,
C'était mon pèr’ criant : « Debout !
Vains dieux, tu vas manquer la messe... »


Die 1. Strophe gibt eine Definition. Brassens umreißt ein (Trug-)Bild und zieht dafür am Ende den Begriff Gespenst heran. Die Floskel »in einem Wort« hat hier ihre ursprünglichste Bedeutung. Die Strophe endet: »in einem Wort ausgedrückt: ein Gespenst!«

Am Ende der 2. Strophe wird »genre« zwar im Sinne Gattung / Genre gebraucht, bezeichnet aber auch das grammatische Geschlecht
. Gespenst als Wort ist im Französischen genre masculin (männliches Geschlecht). Das hier beschriebene Gespenst ist jedoch vom natürlichen Geschlecht her weiblich (sexe féminin). Brassens stellt hier einen Bezug her, wo wir im Deutschen ohnehin nur ein einziges Wort haben: Geschlecht.

Däumeling, Gespenst, Irrlichter, zur Rückweg- markierung verstreute kleine Knochen (wie Brotkrumen bei Hänsel und Gretel)... Das Gespenst verbirgt nicht seinen vorchristlich- heidnischen Charakter. Und jetzt tut Brassens das Gleiche. Er streut in der Folge sprachliche Brotkrumen, denen wir gedanklich folgen können, wenn wir denn wollen...

Ein typisch Brassensscher Aberwitz mit der christlichen Überhöhung der Ideale durch den Bezug von profan und croire:
»Heute in diesem profanen Jahrhundert/ Zeitalter, wo die Leute nicht mehr an Gespenster glauben,  wird man denken, ich sei eine Hochstaplerin...«

Und weiter streut Brassens Stück für Stück seine begrifflichen Brotkrumen:

Cupidon (Kupido, Amor, Eros): der antike Liebesgott (oder genauer Lustgott) mit Pfeil und Bogen --- und andererseits die
Ikonen als christliche Glaubensbilder.

2000 Jahre --- welch ein Altersunterschied! Dieses (weibliche) Gespenst ist natürlich ein Nachhall der Antike, der vorchristlichen Zeit

Penaten --- die römisch-antiken Haus- und Herdgötter der heimischen vier Wände

Satané --- wörtlich satanisch/teuflisch, aber in der modernen französischen Sprache ein Wort der Bewunderung und des angenehmen Erstaunens... die ganze spätchristliche (Doppel-)Moral hat der Volksmund hier in ein Wort gepackt, das Brassens natürlich gern aufgreift und uns als Brotkrume »serviert«

Und am Ende auf engstem Raum und voll im Reim: Capua, die Bäderstadt, das übermilde, die Kampfmoral zerstörende Winterquartier der Truppen Hannibals, sowie als Gegenpol (und ernüchternder Schlusspunkt des Liedes) die den leibfreundlichen Liebestraum störende christliche Messe...
Auszug in Französisch anhören   Auszug in Deutsch anhören:

Weiterführende Erläuterungen im
Übersetzungswissenschaftlichen Artikel:
DER EIGENSINN DER WÖRTER -- PDF

Hier ein Lied, das deutlich zeigt, dass Brassens' Texte viel mehr sind als simple Wortspielereien. Auch ein Lied, das deutlich macht, dass die weiberhasserische Note, die man mitunter Brassens unterschiebt, im Grunde nichts weiter ist als ein Entmystifizieren des überhöhten Frauenbildes, das die christlich geprägte Erziehung mit der Marienverehrung und dem Jungfräulichkeitsgebot installiert hat. Und Brassens ist letztlich in dieser Erziehung, in diesem Glauben groß geworden:

»Mit elf Jahren glaubte ich fest an Gott; mit zwanzig gar nicht mehr. Ich war borniert in meinem Unglauben. Ich glaube zwar bis heute nicht, aber immerhin stelle ich mir langsam Fragen.«

Und genau solche Fragen und Erfahrungen bearbeitet Brassens in seinen besten Liedern, wie im vorliegenden Lied. Und dies immer gepaart mit einer Sprachbehandlung, die, wenn sie keine Poesie sein sollte, der Poesie zumindest zum Verwechseln ähnlich sieht. So sieht sich Brassens sehr wohl als Arbeiter am Wort:

»Die Leute akzeptieren das, was ich tue, weil ich nicht wie ein Literat daherkomme. Natürlich bin ich einer…«

Den Begriff Dichter oder Poet hat Brassens nicht gelten lassen. Die Bezeichnung dessen, was er tut, war ihm nicht wichtig:

Poesie trägt als Wort ein bisschen dick auf. Ich schreibe Lieder, ich habe niemals behauptet, dass ich Poesie betreibe. Ich schreibe das, was ich schreiben möchte, um mir Freude zu machen und um meinen Zuhörern Freude zu machen und mehr ist da nicht. […] Wenn die anderen wollen, dass ich Dichter bin, so bin ich’s. Mir selbst ist das völlig egal; ich schreibe, was mir durch den Kopf und durchs Herz geht, und Sie entscheiden dann, was ich bin. Ich halte mich nicht für einen Dichter. Ich kann den Großen nicht das Wasser reichen. Hier muss man auf dem Teppich bleiben.

Diese Reibung zwischen dem eigengelebten Sein und dem äußeren Gesehen-Werden ist ein Kernthema in Brassens' Liedern:

Denn die Leute glauben Unmengen von Zeug. Sie glauben, sie sind Kommunisten; sie glauben, sie sind Rechte; sie glauben, sie sind Linke; sie glauben, sie sind für die Ehe; sie glauben, sie sind bürgerlich. Sie glauben... im Grunde sind sie nichts von all dem. Sie glauben es oder sie haben es von anderen gesagt bekommen.

Hier binden letztlich auch Verständnis- und Übersetzungsfragen von Brassens' Texten an. Der Petit joueur de flûteau ist ein Flötenspieler, weil er Flöte spielt, so wie Le vieux Léon als joueur d'accordéon de facto ein Akkordeonspieler ist, weil er Akkordeon spielt. Das scheint selbstverständlich, aber es nicht unmöglich, dass man in übersetzten Brassenstexten doch Flötist oder Akkordeonist findet, also Begriffe, die den sozialen Status bewerten und nicht mehr nur das eigentliche Sein an sich spiegeln.  Die Encyclopaedia Universalis 4.0 schrieb:

Seine stets formstrenge Schreibweise speist sich aus zwei Quellen, zum einen aus einer Dichtung klassischer Form und zum anderen aus Melodien, die sehr vielfältige Genre bedient, aber die durch das gewählte Tempo einen ausgesprochen vertraut-eingängigen Charakter erhalten. Der ungekünstelte Vortrag, diese ganz besondere Art des "Anbringens der Wörter“, der "ungehobelte" Anstrich der Person -- all das gibt den Liedern von Brassens ihr humanistisches Gewicht. Er spricht in einem zeitlosen Ton vom Menschen des 20. Jahrhunderts und kann – ein seltenes Phänomen – alle Schichten erreichen.

Durch dieses Abkratzen von Zivilisationslack und Herunterkochen von Menschheitsmythen hat Brassens im Kern ein bodenständiges Publikum:

»Wenn ich erkannt und angesprochen werde, so sind das nicht fanatische junge Mädchen wie bei Gilbert Bécaud oder Luis Mariano – nein! Das ist vom Typ her mehr der ernsthafte Familienvater, der mich auf ein Mittag- oder Abendessen einlädt.«

So beschränkt sich Brassens' Wirkung zu Lebzeiten nicht auf seine eigentliche Generation, sondern sein Publikum kennt keine Altersgrenzen:

»Ich versuche nicht die Welt zu beschreiben oder zu verbessern, sondern ewige Gefühle zur Geltung zu bringen. Das bringt ein bestimmtes Vokabular mit sich, in dem sich meine jungen Hörer ebenso zu Hause fühlen wie die Leute meines Alters. Das ist nicht ewiggestrig, das ist zeitlos.«

Wie zeitlos die Brassenssche Kunst wirklich ist, kann nur die Zukunft zeigen. Mit dem Tode von Brassens im Oktober 1981 bzw. mit der postumen Veröffentlichung der hinterlassenen Lieder ist das Werk von Brassens endgültig »zugeschnürt«. Die Brassenssche Schreib- und Denkweise mit ihrem kritischen Blick auf die menschlichen Verhaltensweisen an der gesellschaftlich-moralischen Reibungsfläche und dem
immer wiederkehrenden Neuheitsgrad wird nicht mehr gespeist.

Damit gerät Brassens zunehmend in die »neuheitsschädliche« Nostalgie-Falle: auf der einen Seite altzeitlich verklärt, auf der anderen Seite als altzeitlich abgelehnt und damit neuzeitlich unattraktiv. Ihm widerfährt, was er bei Victor Hugo beklagt hatte, als er 1979 in einem Interview zu seinem viel jüngeren Interview-Partner Philippe Nemo bezüglich der Gedichte von Victor Hugo sagte:

»Dann müssen Sie zu einer Generation gehören, die direkt nach der Generation kam, in der man Victor Hugo für einen Vollidioten gehalten hat. Ausgerechnet Victor Hugo! Leider!
[...]
Aber er wird nicht mehr gelesen. Die meisten Leute heute entscheiden über alles, ohne es zu kennen. Die meisten Leute sprechen über Dinge, die sie nicht kennen. Deshalb bin ich so zögernd, wenn ich befragt werde und mich äußern soll; weil es so wenig Dinge gibt, die ich kenne, dass ich vorsichtig bin, was ich sage...«

So sei also das Lied vom GESPENST stellvertretend für das gesamte Brassenssche Werk hier herausgestellt, damit, wenn der Name Brassens fällt und wir eine Meinung haben, wir uns unsere Meinung wissend gebildet haben, egal wie diese ausfällt:

»Ich dränge mich keinem auf, niemand ist verpflichtet, mich anzuhören. Wer Brassens nicht mag, muss nur ausschalten...«

 Diese Freiheit, an Brassens vorbeizugehen, ist ungeändert:

»Die Zukunft macht mir keine Angst. Wenn meine Lieder überdauern, freue ich mich sehr darüber; wenn nicht, ist das nicht sehr schlimm, da ich ja dann nicht mehr da sein werde. Ob man zwanzig, dreißig Jahre gefällt oder auch dreihundert oder dreitausend Jahre… die Erde hat ohnehin mal ein Ende. Ehrlich gesagt, jedes Mal wenn man mir sagt, dass ich in die Nachwelt eingehen werde, antworte ich, dass das nicht sicher ist. Das hat man schon so vielen Leuten vorhergesagt, die dann vollständig von der Bildfläche verschwunden sind, dass man mit großem Misstrauen an diese Frage herangehen muss. Was die Nachwelt macht, ist ihre eigene Sache!«

Ergänzend zu den obigen musikalischen Auszügen kann meine komplette deutsche Übertragung aus einem vom Saarländischen Rundfunk in Sulzbach/Saar mitgeschnitten Brassens-Konzert vom Oktober 2011 unter http://www.myspace.com/brassensindeutsch angehört werden.

Ralf Tauchmann
März 2012


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